Shutter Island
Schritte hallten den Anleger entlang und verstummten, als er den Sand erreichte.
»Leuchtturm hin oder her«, sagte der Direktor zu seinen Leuten, »die Fähre bleibt hier liegen. Nehmt dem Kapitän die Schlüssel ab und bringt sie mir.«
Teddy schwamm den Großteil der Strecke.
Er ließ sich von der Leiter ins Wasser sinken und schwamm Richtung Ufer, bis er auf dem sandigen Untergrund stehen konnte. Dann watete er weiter, bis er den Kopf aus dem Wasser heben und einen Blick riskieren konnte. Er hatte einige hundert Meter zurückgelegt. Die Wärter hatten einen Ring um den Anleger gebildet.
Wieder glitt Teddy unter Wasser und watete voran, er wollte nicht kraulen, nicht einmal paddeln, da es zu viel Wellenschlag verursachen würde. Kurz darauf gelangte er zur Biegung der Küste. Er schwamm um die Landzunge herum. Auf der anderen Seite schleppte er sich aus dem Wasser, setzte sich in den Sand in die Sonne und zitterte vor Kälte. Dann lief er am Ufer entlang, bis ihm Felsen den Weg versperrten. Er schnürte die Schuhe zusammen, hängte sie sich um den Hals und ging abermals ins Wasser. Er stellte sich die Knochen seines Vaters irgendwo am Grunde dieses Ozeans vor, er stellte sich Haie mit spitzer Rückenflosse und großem peitschenden Schwanz vor und Barracudas mit Tausenden weißer Zähne, und er wusste, dass er es überstehen würde, weil er keine andere Wahl hatte. Das Wasser hatte ihn betäubt, es gab für ihn keine andere Möglichkeit, und in einigen Tagen würde er es möglicherweise wieder tun müssen, wenn die Betsy Ross ihre Fracht an der Südspitze der Insel ins Wasser fallen ließ. Er wusste, Angst war nur zu besiegen, indem man sich ihr stellte, das hatte er schon im Krieg gelernt, aber dennoch würde er nie, niemals wieder in den Ozean gehen, wenn er es irgendwie vermeiden konnte. Er spürte, dass ihn das Meer beobachtete und abtastete. Er spürte das Alter des Meeres, es war älter als die Götter und stolzer auf die Zahl seiner Opfer.
Gegen ein Uhr erblickte er den Leuchtturm. Ganz sicher war er nicht, da er die Uhr in seiner Jacke gelassen hatte, aber die Sonne stand ungefähr richtig. Vor der Steilklippe mit dem Leuchtturm ging er an Land. Er lehnte sich gegen einen Felsen und ließ sich von der Sonne bescheinen, bis das Zittern aufhörte und seine Haut nicht mehr blau war.
Wenn Chuck da oben war, egal in welchem Zustand, würde Teddy ihn herausholen. Tot oder lebendig, er würde ihn nicht im Stich lassen.
Dann wirst du sterben .
Das war Dolores’ Stimme, und er wusste, dass sie Recht hatte. Wenn er zwei Tage auf die Betsy Ross warten musste und Chuck nicht topfit und einsatzfähig war, würden sie es niemals schaffen. Man würde Jagd auf sie machen …
Teddy grinste.
… wie auf zweibeinige Hunde.
Ich kann ihn nicht im Stich lassen, sagte er zu Dolores. Ich kann es nicht. Wenn ich ihn nicht finde, ist es was anderes. Aber er ist mein Kollege.
Du hast ihn gerade erst kennen gelernt .
Trotzdem ist er mein Kollege. Wenn er da oben ist, wenn sie ihm Schmerzen zufügen, ihn gegen seinen Willen festhalten, dann muss ich ihn herausholen.
Auch wenn du dabei stirbst?
Auch wenn ich dabei sterbe.
Dann hoffe ich , dass er nicht da ist .
Teddy löste sich vom Felsen und folgte einem Pfad aus Sand und Muscheln, der sich durch das Seegras wand. Ihm kam der Gedanke, dass Cawley sich mit seiner Einschätzung geirrt haben könnte, er sei selbstmordgefährdet. Es war eher ein Todeswunsch. Sicher, seit Jahren fiel ihm kein überzeugender Grund ein weiterzuleben. Aber genauso wenig fiel ihm ein überzeugender Grund ein, zu sterben. Durch eigene Hand? Das war ihm selbst in den trostlosesten Nächten zu erbärmlich gewesen. Peinlich. Jämmerlich.
Aber wenn man –
Plötzlich stand der Wärter vor ihm, genauso überrascht von Teddy wie Teddy von ihm, der Hosenschlitz noch offen, das Gewehr über die Schulter geworfen. Zuerst wollte der Wärter seinen Hosenstall zumachen, überlegte es sich aber schnell anders. Schon hatte Teddy ihm mit der Handkante gegen den Adamsapfel geschlagen. Der Wärter griff sich an den Hals, Teddy bückte sich und trat ihm von hinten in die Beine, der Wärter fiel auf den Rücken. Teddy richtete sich auf und trat ihm gegen das rechte Ohr. Der Mann verdrehte die Augen, sodass nur noch das Weiße zu sehen war, die Kinnlade fiel hinunter.
Teddy hockte sich neben ihn, zog ihm den Schulterriemen ab und zerrte das Gewehr unter ihm hervor. Der Mann atmete. Er hatte ihn also nicht
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