Shutter Island
sie ihn wahrscheinlich fortgeschafft, während Teddy vom Feld mit den Steinhaufen zurückkam. Und wer sich an Chuck herangeschlichen hatte, musste sehr geschickt sein, denn Chuck hatte nicht einmal einen Schrei von sich gegeben.
Wie viel Macht musste man haben, um nicht nur einen, sondern zwei U. S.-Marshals verschwinden zu lassen?
Enorm viel.
Wenn sie beabsichtigten, Teddy in den Wahnsinn zu treiben, dann mussten sie mit Chuck etwas anderes im Sinn haben. Niemand würde ihnen abnehmen, dass zwei Marshals innerhalb von zwei Tagen den Verstand verlören. Also würde Chuck einen Unfall haben müssen. Am ehesten im Sturm. Wenn sie wirklich gerissen waren – und daran bestand kein Zweifel –, dann würden sie so tun, als sei Chucks Tod der Auslöser gewesen, der Teddy auf die Straße ohne Wiederkehr befördert hatte.
Die Strategie besaß eine unbestreitbare Logik.
Aber wenn Teddy es nicht schaffte, die Insel zu verlassen, würde die Dienststelle die Geschichte niemals glauben, und wenn sie noch so logisch klänge. Man würde ihm Kollegen hinterherschicken, um sich persönlich zu überzeugen.
Und was würden die finden?
Teddy betrachtete seine zitternden Handgelenke und Daumen. Es wurde schlimmer. Und trotz des Schlafs war er kein bisschen klarer im Kopf. Er fühlte sich benebelt, seine Zunge war schwer. Wenn die Drogen zu dem Zeitpunkt, da die Dienststelle Kollegen herschickte, seinen Körper bereits unter Kontrolle gebracht hatten, würde Teddy in seinen Bademantel sabbern und sich unkontrolliert einkoten. Dann wäre die Ashecliffe-Wahrheit Wirklichkeit geworden.
Er hörte die Schiffshupe, kraxelte auf eine Anhöhe und konnte verfolgen, wie die Fähre im Hafen drehte und langsam rückwärts auf den Anleger zufuhr. Teddy legte einen Schritt zu, und zehn Minuten später erschien die Rückfront von Cawleys Tudorhaus zwischen den Bäumen.
Teddy verließ die Straße. Im Schutze des Waldes hörte er, wie die Männer die Fähre entluden, Kisten donnernd auf dem Kai landeten, metallene Transportkarren ratterten, Schritte über Holzbretter polterten. Er verbarg sich zwischen den Bäumen der ersten Reihe und sah unten am Anleger einige Pfleger und zwei Fährenlotsen, die sich gegen das Schiffsheck lehnten. Überall waren Wärter, Unmengen von Wärtern. Gewehrkolben auf die Hüfte gestützt, blickten sie in Richtung Wald, suchten die Bäume und das Gelände zwischen Hafen und Ashecliffe ab.
Nachdem die Pfleger die Fracht abgeladen hatten, zogen sie die Transportkarren über den Kai, doch die Wärter blieben an der Fähre. Ihre einzige Aufgabe bestand an diesem Morgen darin, zu verhindern, dass Teddy das Schiff erreichte.
Teddy schlich sich zurück durch den Wald und kam vor Cawleys Haus heraus. Im oberen Stockwerk waren Männer zu hören, einer stand an einer schrägen Stelle auf dem Dach, er hatte Teddy den Rücken zugekehrt. Rechts neben dem Haus stand das Auto im Carport. Ein Buick Roadmaster von 1947. Kastanienbraun mit weißen Lederpolstern. Ein Tag nach dem Hurrikan bereits frisch gewachst und poliert. Dieses Fahrzeug wurde geliebt.
Teddy öffnete die Fahrertür. Das Leder roch, als sei es nur einen Tag alt. Er schaute ins Handschuhfach, entdeckte mehrere Streichholzschachteln und steckte sie ein.
Er holte seine Krawatte aus der Tasche, fand einen kleinen Stein und knotete das schmale Ende der Krawatte darum. Er hob das Nummernschild an und drehte den Tankdeckel ab. Dann schob er die Krawatte mit dem Stein durch den Stutzen in den Tank, bis nur noch das breite geblümte Schlipsende heraushing.
Teddy dachte daran, wie Dolores ihm die Krawatte geschenkt hatte, wie sie ihm damit, auf seinem Schoß sitzend, die Augen verbunden hatte.
»Entschuldigung, mein Schatz«, flüsterte er. »Ich liebe die Krawatte, weil du sie mir geschenkt hast. Aber eigentlich ist sie abgrundtief hässlich.«
Um Nachsicht bittend, lächelte er zu ihr in den Himmel hinauf, zündete mit einem Streichholz ein ganzes Briefchen an und mit dem brennenden Briefchen die Krawatte.
Dann rannte er um sein Leben.
Als er den Wald erreichte, flog das Auto in die Luft. Männer schrien durcheinander. Teddy sah sich um. Durch die Bäume schossen die Flammen empor wie Kugeln, dann zersplitterten die Fenster mit schwächeren Explosionen wie Knallfrösche.
Teddy durchquerte den Wald, rollte seine Jacke zusammen und versteckte sie unter Steinen. Wärter und Fährbesatzung liefen den Pfad hoch zu Cawleys Haus. Teddy wusste, wenn er wirklich fliehen
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