Shy Black – Detektiv mit allen Sinnen (Romantica-Novellenreihe) (German Edition)
ein nützliches Mitglied unserer Gemeinschaft“, wandte der Abbé zur Beruhigung aller ein. „Zur gleichen Zeit soll ja auch unser Jarin seine Entscheidung treffen. Vielleicht will er das Leben bei Hofe kennenlernen? Es sei denn, Jarin hat sich bereits entschieden und möchte lieber bei seinen Brüdern im Kloster bleiben!“
Bei dem letzten Satz blickten alle den blonden Jüngling an der Tafel an, der verlegen mit dem Holzlöffel in seinem Eintopf herumstocherte. Nein, wollte er nicht. Aber er wagte es nicht, seinen Wunsch offen auszusprechen. Ein zögerliches Lächeln war stattdessen seine Antwort. Pater Clement, mittlerweile Vorsteher des Klosters, hob die Hand, um die Vesper aufzuheben:
„Freunde und Mitbrüder, zunächst lasst uns beten und dann möge unser lieber Bruder Simon mehr von seiner Reise erzählen. Jarin, gib unserem jungen Gast die Kammer neben deiner und bring ihm frische Kleidung. Er wird erschöpft sein. Ein heißes Bad sollte ihm ebenfalls gut tun. Kümmere dich ein wenig um ihn!“
Jarin war froh, sich erheben zu dürfen und winkte dem anderen Jungen zu, ihm zu folgen. Akio schien ebenfalls froh, der Neugier und den vielen unbekannten Gesichtern entkommen zu können. Gemeinsam stellten sie den Badezuber in Akios Raum und erhitzten das Wasser dafür in einem Kessel über dem Feuer. Eimer für Eimer verfrachteten sie schweigend in den hölzernen Bottich, der schier unersättlich schien.
„So, fertig“, stöhnte Jarin und wies auf den gefüllten Zuber, aus dem Dampf aufstieg. „Na los, hinein mit dir“, forderte er den fremden Jungen auf und dieser begann, seine zerrissenen Kleider auszuziehen. Jarin zog sich zurück, um ein frisches Gewand für ihn zu holen.
Was für ein seltsamer Knabe, redet die ganze Zeit über kein Wort und gehorcht wie ein Hund, dachte er dabei.
Er konnte ja nicht wissen, dass Akio in China ein fast unterwürfiges Gehorchen gelernt hatte. Wenn er essen wollte, musste er die Befehle seines Herrn und Arbeitgebers ausführen. Sonst drohten ihm Prügel. Nur seiner Augenfarbe hatte er es zu verdanken, dass er noch am Leben war. In China galten grüne Augen als glückverheißend.
Leseprobe aus Ballroom
der zweiten Novelle
Prolog
Berlin, Silvester 1938
Ich erinnere mich noch als wäre es erst gestern gewesen:
Das letzte friedvolle Silvesterfest. Es schneite in dicken Flocken. Ganz Berlin war in den weißen Zuckerguss des Winters getaucht. Überall wurde gelacht und getanzt. Man trug elegante Kleider. Gläser klirrten und protesteten einander hoffnungsvoll zu.
Die Kapelle spielte "Küss mich, bitte, bitte, küss mich" bereits das dritte Mal an diesem Abend. Wenn sie Pause machte, drehte sich eine Schellack-Platte auf dem Grammophonteller. Doch das schien keinen der Gäste zu stören. Berlin tanzte an diesem Abend wie an vielen anderen, während über dem ganzen Land dunkle Wolken heraufzogen. Wolken, die niemand sehen wollte. Die bunten Lichter der Hauptstadt dagegen, die Busse voller Touristen, von denen sich einige auch in unser Lokal verirrten, das war der Rhythmus, der die aufkeimende Unruhe überdeckte. Die große Stadt schien am Tage zu hyperventilieren, als wollte sie den politischen braunen Keim, der in ihr gärte, ausspeien. Aber das samtene blaue Tuch der Nacht milderte das drohende Unheil und die bunten Lichter lockten Berliner wie Touristen in die zahllosen Vergnügungsstätten.
Eine davon war unser „Le Chalet“, ein exklusives Etablissement in Berlin-Charlottenburg und das älteste seiner Art. Alle waren sie willkommen hier: Ältere Damen suchten in den Armen der eleganten Eintänzer ebenso Zuflucht wie graumelierte Herren die Gesellschaft der charmanten Frolleins, zu denen übrigens auch ich gehörte. Die meisten einsamen Menschen verschlug es nach einem Kino- oder Theaterbesuch in einen der Ballrooms, um sich ein paar vergnügte Stunden zu erkaufen. Viele von ihnen wurden über die Jahre hinweg zu Stammgästen. Oh, wir hatten viele Stammgäste, sogar bekannte Leute aus Film und Fernsehen. Natürlich durften wir nicht darüber sprechen. Nicht einmal, wenn wir nicht im "Dienst" waren. In dieser Hinsicht war unser Chef sehr penibel.
Wir, das waren Rudi, Elfie, Lilly, Claude und ich, Marlene. Allesamt gestrandete Existenzen im wilden Strudel der Hauptstadt. Jeder von uns hatte versucht, hier irgendwie Fuß zu fassen und jeder von uns war an diesem Versuch gescheitert. Lilly, die ehemalige Schauspielerin, der ein Mann das Herz gebrochen hatte und
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