Sibirische Erziehung
Art, wie die Männchen einiger Rassen ihre Beweglichkeit zur Schau stellen, um die Aufmerksamkeit der Weibchen auf sich zu ziehen.
Wir begrüßten Onkel Fedja, und meine Freunde stellten sich vor. Die Tradition verlangte, dass ich zuerst ein wenig über Dinge sprach, die gar nichts mit dem Grund unseres Besuchs zu tun hatten: Dabei ging es nicht nur darum, den Anstand zu wahren, es diente auch dazu, herauszufinden, in welcher Gemütsverfassung sich der andere befand, ob der Moment geeignet war, das zu besprechen, was man auf dem Herzen hatte. Also fragte ich ihn nach seiner Gesundheit und sprach ein bisschen über Tauben, bis er schließlich fragte, was mich zu ihm führe.
»Ich bin auf ein ›Wörtchen‹ gekommen«, sagte ich.
Im Gespräch insbesondere mit bedeutenden Personen der Verbrecherwelt spricht man normalerweise ironisch über die Probleme, zu deren Lösung man ihre Hilfe braucht. Auch die Autoritäten sprechen über ihr Leben oder eine persönliche Angelegenheit nie, als wären es Dinge von größter Wichtigkeit, sondern leichthin und bescheiden. Fragt man zum Beispiel einen Kriminellen, wie seine Geschäfte laufen, wird er einem ironisch antworten, dass seine Geschäfte gerade von der Staatsanwaltschaftunter die Lupe genommen werden und er sich nur mit belanglosem Zeug durchschlägt, Kleinigkeiten, Lappalien.
Darum war ich gezwungen, unser Problem mit einer gewissen Gleichgültigkeit darzulegen und zu sagen, dass ich nur auf ein »Wörtchen« gekommen sei, nichts von Gewicht oder Bedeutung.
Er lächelte und sagte, dass er bereits im Bilde sei. Dann wollte er wissen, wie wir mit unseren Nachforschungen vorankämen. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, erklärte ich ihm die Lage. Er hörte ruhig und geduldig zu, aber dann und wann atmete er hörbar ein.
Als ich fertig war, hielt er eine Weile inne, um nachzudenken, dann sagte er plötzlich, dass wir besser nach unten gehen, uns an den Tisch setzen und einen Tschifir trinken sollten, denn »die Wahrheit findet man nicht gut im Stehen«.
Wir gingen nach unten, wo schon zwei alte Kriminelle am Tisch saßen, die Onkel Fedja uns als Gäste aus einem kleinen sibirischen Dorf am Amur vorstellte.
Dann begann die Teezeremonie.
Onkel Fedja selbst bereitete den Tschifir zu. Seine dunklen, fast schwarzen Zähne verrieten den leidenschaftlichen Tschifir-Trinker. Nachdem er auf dem Holzofen Wasser heiß gemacht hatte, nahm er den Tschifirbak vom Feuer, stellte ihn auf den Tisch und warf ein ganzes Päckchen Irkutsker Tee hinein.
Während wir auf den Tschifir warteten, erzählte Onkel Fedja den Gästen unsere Geschichte. Die beiden hörten traurig zu, und einer, ein großer breiter Mann mit tätowiertem Gesicht, bekreuzigte sich jedes Mal, wenn Ksjuschas Name fiel.
Onkel Fedja goss den Tschifir in den Becher, trank drei große Schlucke und reichte ihn an mich weiter. Der Tschifir war kräftig und heiß und »packte« gut zu, das heißt, erzeigte gleich Wirkung, man spürte sofort ein leichtes Säuseln im Kopf. Wir ließen den Tschifir dreimal herumgehen. Mel, der den letzten Schluck trank, wusch den Becher aus, wie es Brauch ist.
Danach stellte Onkel Fedja einen Teller mit Bonbons auf den Tisch, um den kräftigen Geschmack, den der Tschifir im Mund hinterlassen hatte, abzumildern. Ich mochte am liebsten die mit dem Geschmack von Kljukwa , der sehr sauren Moosbeere, die an kleinen Sträuchern in den Sümpfen Nordrusslands wächst. Während wir die Bonbons lutschten, nahmen wir unser Gespräch wieder auf.
Onkel Fedja sagte, dass die Geschäftsführer seiner Lokale bereits Bescheid wüssten und dass, falls im »Käfig« – der größten und angesagtesten Disko der Stadt, wo unheimlich viele Leute hinkamen – interessante Neuigkeiten herauskommen sollten, er uns natürlich umgehend informieren würde.
Dann legte er seinen persönlichen Beitrag zu unserer Sache auf den Tisch. Der eine Gast folgte seinem Beispiel und brachte ein Bündel Scheine, gut zehntausend Dollar, und der sibirische Riese mit dem tätowierten Gesicht, der der »Lahme« genannt wurde, fügte ohne ein Wort weitere fünftausend hinzu.
Onkel Fedja gab uns den Tipp, noch einmal nach Bam zu fahren.
»Mit diesen Leuten ein ehrbares Gespräch zu führen, ist schwierig. Besser man jagt ihnen gleich ein bisschen Angst ein«, sagte er und zwinkerte mir zu. »Und wenn sich ein Schuss löst und vielleicht sogar einen von ihnen erwischt, dann ist das nicht schlimm, früher oder später bringen sie sich
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