Sibirisches Roulette
des KGB schon am frühen Morgen, kurz nach acht Uhr, durch die sechs Fußgängertore ins Haus – nicht aus Arbeitseifer, denn der Dienst beginnt erst um neun Uhr, sondern weil sich im Keller und im siebten Stock des alten Hauptgebäudes je ein Restaurant befindet, in dem man ein vorzügliches und dazu noch billiges Frühstück bekommen kann. Neben Brot gibt es dort Eier, Schinken, Wurst, Obst und frische Milch; Köstlichkeiten, die man woanders kaum bekommen kann, ohne in einer langen Schlange geduldig anstehen zu müssen. Und wenn man gar ein Offizier ist, geht man auf die andere Seite des Dscherschinski-Platzes in den KGB-Klub und hat dann die Auswahl zwischen Kaviar und Räucherlachs, gebeiztem oder gekochtem Stör, bestem Schaschlik und anderen Delikatessen wie grusinischem Käse, Wein von der Krim, Äpfeln aus dem Dongebiet und Orangen aus Mittelasien. Auch eine Flasche Whisky kann man haben, echt aus Schottland, für den Preis von einem Dollar! Rechnet man das um in Rubel … eine Auszeichnung ist's immer wieder, ein KGB-Offizier zu sein.
Valentin Valentinowitsch Kulpakow hatte gut gefrühstückt. Das Restaurant im siebten Stock hatte ihm Rühreier mit Speck, schwarzen Kaffee, Leber- und Mettwurst und ein Glas Kognak serviert. Die PRAWDA hatte er beim Essen gelesen und den Kopf geschüttelt darüber, was die Leute da draußen doch alles glaubten. Nun lehnte er sich zurück, steckte sich eine Papirossa an, betrachtete das Muster des Teppichs – nur die Räume der Generäle hatten Teppiche im KGB-Hauptquartier – und sagte, dem Genuß des Frühstücks nachschwingend:
»Es hat Ihnen sicherlich geschmeckt, Anatoli Borisowitsch …«
»Ich wundere mich, daß Sie nicht drei Zentner wiegen, mein Freund.« Kulpakows Gast trank noch ein Schlückchen Kognak und schnalzte mit der Zunge. »Vom Schwarzen Meer, nicht wahr? Um dieses Restaurant im eigenen Haus beneide ich Sie, Valentin Valentinowitsch. Sonst – nicht.«
General Anatoli B. Tjunin, er war der Gast, trug auf seiner Nase einen altmodischen Kneifer, so wie ihn Berija getragen hatte und Molotow ebenso. Zu seiner goldbetreßten Uniform sah dies etwas merkwürdig aus, aber Tjunin hatte sich immer standhaft geweigert, eine modische Brille zu tragen. Als seine Frau Galina ihm zum Neujahrsfest eine echte italienische Brille schenkte, hatte er sie widerwillig ausprobiert und nach einer Stunde gesagt: »An den Ohren kneift sie, aber ich bin's gewohnt, daß sie an der Nase kneift!« Damit legte er das schöne Modell zur Seite und nahm es nie wieder in die Hand. Dafür trug er teure Maßhemden und elegante Schuhe, die man als Offizier in den für die übrige Bevölkerung unzugänglichen Sonderläden kaufen konnte. Er besaß Schuhe aus Florenz, Hemden aus England, Unterwäsche aus Österreich. Ging er einmal in Zivil aus, bevorzugte er Anzüge aus Frankreich. Er brauchte diese Eleganz, denn körperlich stellte er nichts dar. Ein mittelgroßes Männchen war er und legte sein schütteres Haar sorgfältig um den Kopf. In einem Arbeiteranzug, unbekannt auf der Straße, hätte man zu ihm gesagt : »Genosse, Sie sehen elend aus. Gehen Sie doch mal ins Krankenhaus Nummer 2, lassen Sie sich röntgen. Auf der Lunge müssen Sie es haben. Husten Sie viel? Schwitzen Sie nachts?«
Ja, so sah General Tjunin aus, im Gegensatz zu Kulpakow, der massig auf seinem Stuhl saß, über die Teller blickte und sich überlegte, ob er noch eine Scheibe Schinken zwischen die Finger nehmen und nachschieben sollte.
Tjunin, Abteilungsleiter der Glawnoje Raswediwatelnoje Uprawlenije, kurz GRU genannt – der berühmt-berüchtigte militärische Geheimdienst –, war auch verantwortlich für die Abteilung Operation II. Diese Sektion genoß den Ruf, das Geheimste überhaupt zu sein. Man wußte nur, daß die besten Abgänger der GRU-eigenen Ausbildungsstätten, an denen alles gelehrt wird vom Umgang auf diplomatischem Parkett bis zum Bombenterror, fast immer in der Abteilung Operation II landeten und dann meistens allen Blicken entschwanden. Ab und zu tauchten sie als Militärattache in den sowjetischen Botschaften auf, als Berater in afrikanischen und mittelamerikanischen Staaten, saßen harmlos in den Büros der Aeroflot – der sowjetischen Fluggesellschaft – oder waren, unerkannt, immer in der Nähe, wenn Sabotageakte für Schlagzeilen in den Zeitungen sorgten. Ein unsichtbares Netz spannte die GRU über alles, was militärisch interessant war, und General Tjunin las jeden Morgen mit tiefer
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