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Sichelmond

Sichelmond

Titel: Sichelmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Gemmel
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eigenen Geschäft.
    Mayers nickte. »Die Tafel.«
    »Genau. Dort bekommen Menschen zu essen, denen es finanziell nicht gut geht. Die in Not geraten sind oder auf der Straße leben. Arbeitslose. Familien ohne Einkommen. Oder   …«
    Mayers winkte ab. »Ja, schon gut. Wir wissen, was eine Tafel ist. Und dort ist er jeden Montag und Donnerstag?«
    »Immer nachmittags gegen fünfzehn Uhr. Sie könnten die Uhr danach stellen. Wissen Sie, in meinem Laden ist nicht so viel los. Da hat man viel Zeit, auf die Straße zu blicken und die Leute zu beobachten. Und bestimmte Dinge fallen einem auf, wenn man ständig aus dem Fenster blickt.«
    Mayers hielt mit Freude seine Hand dem Verkäufer zum Abschied hin. »Danke, Herr Lasch. Sie waren uns eine wirklich große Hilfe«, sagte er, dann blickte er zufrieden auf Tallwitz. »Wir beide haben eine Verabredung heute Mittag. Hier. Aber nicht allein. Ruf Verstärkung. Dieses Mal wird er uns nicht entwischen.«

A Schlaf war nicht mehr zu denken gewesen. Seit Stunden saß Rouven nun am Tisch in der Mitte der Wasserwerkshalle und hielt sich an der Tasse fest, in der Tabitha ihm zuvor einen heißen Tee gebracht hatte. Sie saß an seiner Seite und fühlte sich hilflos wie noch nie.
    Wieder strich sich Rouven mit den Fingern über die Stelle an seinem Schulterblatt, wo sich die Brandmarkung befand. »Was soll das heißen? Wächter der Halle? Was meint er damit? Welche Halle? Und vor allem: Wer ist dieser Kerl?«
    »Mehr kann ich dir nicht sagen«, wiederholte Tabitha und goss ihnen Tee nach. »Was kann das nur alles bedeuten?«
    Rouvens Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig. »Ist dir das nicht klar?«
    »Was meinst du?«
    »Ich wache in verwüsteten Wohnungen auf. Immer verletzt. Der Typ kennt mich anscheinend   – wenn ich auch nicht weiß, was dieses ›Wächter‹ bedeutet. Aber   …«
    »Ja?«
    Er atmete tief durch: »Ich denke, ich bin sein Komplize.«
    »Was?«
    »Er scheint mich zu kennen. Er scheint mehr von mir zu wissen als ich von ihm. Ich glaube   … ich   …«
    Sie ergriff seine Hand. »Das meinst du nicht ernst!«
    »Vielleicht bin ich dieser Neumond-Täter, für den mich alle halten. Vielleicht sollte ich zur Polizei gehen und   …«
    Tabitha sprang auf. »Das kommt gar nicht in Frage. Ich glaube dasnicht. Du bist unschuldig. Ich hab dein Gesicht gesehen, als du wach geworden bist, bei uns in der Wohnung. Du warst so ganz ohne Orientierung. Wie solltest du ein Täter sein?«
    Rouven dachte weiter fieberhaft nach. »Vielleicht hat er mich in seiner Gewalt. Vielleicht gibt er mir Drogen, sodass ich mache, was er sagt. Vielleicht kann er mich aus der Ferne lenken. Vielleicht   …« Er blickte überrascht über Tabithas Schulter hinweg. »Oh   …«
    Tabitha wandte sich rasch um. Nana stand dort, noch im Bademantel.
    »Ihr seid schon wach. Michael, was ist mit dir? Du schaust so nachdenklich. Und wer ist die Frau neben dir?«
    »Guten Morgen, Nana«, grüßte Rouven. »Das ist Tabitha.«
    »Aus der Nachbarschaft?«, riet Nana.
    »Ja«, gab Rouven zur Antwort. »Sozusagen. Aus der fernen Nachbarschaft.«
    Nana hielt ihr die Hand hin. »Schön, Sie einmal kennenzulernen, Tabitha. Wir sind uns ja bisher noch nicht begegnet.«
    Tabitha ergriff die Hand und hätte am liebsten »Doch, gestern Nachmittag« erwidert, doch sie verstand inzwischen Rouvens Vorgehensweise und fand sie sinnvoll. Daher sagte sie: »Genau. Schön, Sie zu sehen.« Dann fiel ihr ein, dass sie die alte Dame mal testen könnte: »Wie war noch einmal Ihr Name?«
    Rouven blickte auf, gespannt, was die Frau antworten würde.
    Sie lachte nur und sagte: »Alle hier sagen Großmutter zu mir. Das können Sie auch gern tun.«
    Tabitha nickte. »Ja, gern.«
    Die Frau wandte sich ab und ging in ihre Ecke zurück.
    Tabitha wollte unbedingt verhindern, dass sie und Rouven das Gespräch von vorhin aufnahmen. Keinesfalls wollte sie Rouven weiter darüber nachdenken lassen, dass er möglicherweise ein Täter war. Daher fragte sie schnell: »Gibt es eigentlich Besorgungen, die wir machen sollten? Woher bekommt ihr beiden denn euer Essen?«
    Rouven durchblickte Tabithas Plan, das Thema zu wechseln, undwar ihr dankbar dafür. Gleichzeitig wunderte er sich darüber, dass sie das Verschwinden ihrer Eltern kaum zum Thema machte. Es schien, als verdränge sie jeden Gedanken an ihre derzeitige Lebenssituation. Gerade so, als verbringe sie gedankliche Ferien hier bei ihm und Nana.
    Na prima, dachte Rouven, zu zwei

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