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Siddharta

Siddharta

Titel: Siddharta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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um Jahr. Vielleicht, o Govinda, wäre es ebenso gut, wäre es
    ebenso klug und ebenso heilsam gewesen, wenn ich den
    Nashornvogel oder den Schimpansen befragt hätte. Lange Zeit
    habe ich gebraucht und bin noch nicht damit zu Ende, um dies
    zu lernen, o Govinda: daß man nichts lernen kann! Es gibt, so
    glaube ich, in der Tat jenes Ding nicht, das wir >Lernen< nennen. Es gibt, o mein Freund, nur ein Wissen, das ist überall, das ist Atman, das ist in mir und in dir und in jedem Wesen.
    Und so beginne ich zu glauben: dies Wissen hat keinen ärgeren
    Feind als das Wissenwollen, als das Lernen.«
    Da blieb Govinda auf dem Wege stehen, erhob die Hände
    und sprach: »Mögest du, Siddhartha, deinen Freund doch nicht
    mit solchen Reden beängstigen! Wahrlich, Angst erwecken
    deine Worte in meinem Herzen. Und denke doch nur: wo
    bliebe die Heiligkeit der Gebete, wo bliebe die Ehrwürdigkeit
    des Brahmanenstandes, wo die Heiligkeit der Samanas, wenn
    es so wäre, wie du sagst, wenn es kein Lernen gäbe?! Was, o
    Siddhartha, was würde dann aus alledem werden, was auf
    Erden heilig, was wertvoll, was ehrwürdig ist?!«
    Und Govinda murmelte einen Vers vor sich hin, einen Vers
    aus einer Upanishad:
    »Wer nachsinnend, geläuterten Geistes, in Atman
    sich versenkt,
    Unaussprechlich durch Worte ist seines Herzens
    Seligkeit.«
    Siddhartha aber schwieg. Er dachte der Worte, welche
    Govinda zu ihm gesagt hatte, und dachte die Worte bis an ihr
    Ende.
    Ja, dachte er, gesenkten Hauptes stehend, was bliebe noch
    übrig von allem, was uns heilig schien? Was bleibt? Was
    bewährt sich? Und er schüttelte den Kopf.
    Einstmals, als die beiden Jünglinge gegen drei Jahre bei den
    Samanas gelebt und ihre Übungen geteilt hatten, da erreichte
    sie auf mancherlei Wegen und Umwegen eine Kunde, ein
    Gerücht, eine Sage: einer sei erschienen, Gotama genannt,
    der Erhabene, der Buddha, der habe in sich das Leid der Welt
    überwunden und das Rad der Wiedergeburten zum Stehen
    gebracht. Lehrend ziehe er, von Jüngern umgeben, durch das
    Land, besitzlos, heimatlos, weiblos, im gelben Mantel eines
    Asketen, aber mit heiterer Stirn, ein Seliger, und Brahmanen
    und Fürsten beugten sich vor ihm und würden seine Schüler.
    Diese Sage, dies Gerücht, dies Märchen klang auf, duftete
    empor, hier und dort, in den Städten sprachen die Brahmanen
    davon, im Wald die Samanas, immer wieder drang der Name
    Gotamas, des Buddha, zu den Ohren der Jünglinge, im Guten
    und im Bösen, in Lobpreisung und in Schmähung.
    Wie wenn in einem Lande die Pest herrscht, und es erhebt
    sich die Kunde, da und dort sei ein Mann, ein Weiser, ein
    Kundiger, dessen Wort und Anhauch genüge, um jeden von
    der Seuche Befallenen zu heilen, und wie dann diese Kunde
    das Land durchläuft und jedermann davon spricht, viele
    glauben, viele zweifeln, viele aber sich alsbald auf den Weg
    machen, um den Weisen, den Helfer aufzusuchen, so durchlief
    das Land jene Sage, jene duftende Sage von Gotama, dem
    Buddha, dem Weisen aus dem Geschlecht der Sakya. Ihm
    war, so sprachen die Gläubigen, höchste Erkenntnis zu eigen,
    er erinnerte sich seiner vormaligen Leben, er hatte Nirwana
    erreicht und kehrte nie mehr in den Kreislauf zurück, tauchte
    nie mehr in den trüben Strom der Gestaltungen unter. Vieles
    Herrliche und Unglaubliche wurde von ihm berichtet, er hatte
    Wunder getan, hatte den Teufel überwunden, hatte mit den
    Göttern gesprochen. Seine Feinde und Ungläubige aber
    sagten, dieser Gotama sei ein eitler Verführer, er bringe seine Tage in Wohlleben hin, verachte die Opfer, sei ohne
    Gelehrsamkeit und kenne weder Übung noch Kasteiung.
    Süß klang die Sage von Buddha, Zauber duftete aus diesen
    Berichten. Krank war ja die Welt, schwer zu ertragen war das
    Leben - und siehe, hier schien eine Quelle zu springen, hier
    schien ein Botenruf zu tönen, trostvoll, mild, edler
    Versprechungen voll. Überall, wohin das Gerücht vom
    Buddha erscholl, überall in den Ländern Indiens horchten die
    Jünglinge auf, fühlten Sehnsucht, fühlten Hoffnung, und unter
    den Brahmanensöhnen der Städte und Dörfer war jeder Pilger
    und Fremdling willkommen, wenn er Kunde von ihm, dem
    Erhabenen, dem Sakyamuni, brachte.
    Auch zu den Samanas im Walde, auch zu Siddhartha, auch zu
    Govinda war die Sage gedrungen, langsam, in Tropfen, jeder
    Tropfen schwer von Hoffnung, jeder Tropfen schwer von
    Zweifel. Sie sprachen wenig davon, denn der Älteste der
    Samanas war kein Freund dieser Sage. Er hatte

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