Siddharta
um Jahr. Vielleicht, o Govinda, wäre es ebenso gut, wäre es
ebenso klug und ebenso heilsam gewesen, wenn ich den
Nashornvogel oder den Schimpansen befragt hätte. Lange Zeit
habe ich gebraucht und bin noch nicht damit zu Ende, um dies
zu lernen, o Govinda: daß man nichts lernen kann! Es gibt, so
glaube ich, in der Tat jenes Ding nicht, das wir >Lernen< nennen. Es gibt, o mein Freund, nur ein Wissen, das ist überall, das ist Atman, das ist in mir und in dir und in jedem Wesen.
Und so beginne ich zu glauben: dies Wissen hat keinen ärgeren
Feind als das Wissenwollen, als das Lernen.«
Da blieb Govinda auf dem Wege stehen, erhob die Hände
und sprach: »Mögest du, Siddhartha, deinen Freund doch nicht
mit solchen Reden beängstigen! Wahrlich, Angst erwecken
deine Worte in meinem Herzen. Und denke doch nur: wo
bliebe die Heiligkeit der Gebete, wo bliebe die Ehrwürdigkeit
des Brahmanenstandes, wo die Heiligkeit der Samanas, wenn
es so wäre, wie du sagst, wenn es kein Lernen gäbe?! Was, o
Siddhartha, was würde dann aus alledem werden, was auf
Erden heilig, was wertvoll, was ehrwürdig ist?!«
Und Govinda murmelte einen Vers vor sich hin, einen Vers
aus einer Upanishad:
»Wer nachsinnend, geläuterten Geistes, in Atman
sich versenkt,
Unaussprechlich durch Worte ist seines Herzens
Seligkeit.«
Siddhartha aber schwieg. Er dachte der Worte, welche
Govinda zu ihm gesagt hatte, und dachte die Worte bis an ihr
Ende.
Ja, dachte er, gesenkten Hauptes stehend, was bliebe noch
übrig von allem, was uns heilig schien? Was bleibt? Was
bewährt sich? Und er schüttelte den Kopf.
Einstmals, als die beiden Jünglinge gegen drei Jahre bei den
Samanas gelebt und ihre Übungen geteilt hatten, da erreichte
sie auf mancherlei Wegen und Umwegen eine Kunde, ein
Gerücht, eine Sage: einer sei erschienen, Gotama genannt,
der Erhabene, der Buddha, der habe in sich das Leid der Welt
überwunden und das Rad der Wiedergeburten zum Stehen
gebracht. Lehrend ziehe er, von Jüngern umgeben, durch das
Land, besitzlos, heimatlos, weiblos, im gelben Mantel eines
Asketen, aber mit heiterer Stirn, ein Seliger, und Brahmanen
und Fürsten beugten sich vor ihm und würden seine Schüler.
Diese Sage, dies Gerücht, dies Märchen klang auf, duftete
empor, hier und dort, in den Städten sprachen die Brahmanen
davon, im Wald die Samanas, immer wieder drang der Name
Gotamas, des Buddha, zu den Ohren der Jünglinge, im Guten
und im Bösen, in Lobpreisung und in Schmähung.
Wie wenn in einem Lande die Pest herrscht, und es erhebt
sich die Kunde, da und dort sei ein Mann, ein Weiser, ein
Kundiger, dessen Wort und Anhauch genüge, um jeden von
der Seuche Befallenen zu heilen, und wie dann diese Kunde
das Land durchläuft und jedermann davon spricht, viele
glauben, viele zweifeln, viele aber sich alsbald auf den Weg
machen, um den Weisen, den Helfer aufzusuchen, so durchlief
das Land jene Sage, jene duftende Sage von Gotama, dem
Buddha, dem Weisen aus dem Geschlecht der Sakya. Ihm
war, so sprachen die Gläubigen, höchste Erkenntnis zu eigen,
er erinnerte sich seiner vormaligen Leben, er hatte Nirwana
erreicht und kehrte nie mehr in den Kreislauf zurück, tauchte
nie mehr in den trüben Strom der Gestaltungen unter. Vieles
Herrliche und Unglaubliche wurde von ihm berichtet, er hatte
Wunder getan, hatte den Teufel überwunden, hatte mit den
Göttern gesprochen. Seine Feinde und Ungläubige aber
sagten, dieser Gotama sei ein eitler Verführer, er bringe seine Tage in Wohlleben hin, verachte die Opfer, sei ohne
Gelehrsamkeit und kenne weder Übung noch Kasteiung.
Süß klang die Sage von Buddha, Zauber duftete aus diesen
Berichten. Krank war ja die Welt, schwer zu ertragen war das
Leben - und siehe, hier schien eine Quelle zu springen, hier
schien ein Botenruf zu tönen, trostvoll, mild, edler
Versprechungen voll. Überall, wohin das Gerücht vom
Buddha erscholl, überall in den Ländern Indiens horchten die
Jünglinge auf, fühlten Sehnsucht, fühlten Hoffnung, und unter
den Brahmanensöhnen der Städte und Dörfer war jeder Pilger
und Fremdling willkommen, wenn er Kunde von ihm, dem
Erhabenen, dem Sakyamuni, brachte.
Auch zu den Samanas im Walde, auch zu Siddhartha, auch zu
Govinda war die Sage gedrungen, langsam, in Tropfen, jeder
Tropfen schwer von Hoffnung, jeder Tropfen schwer von
Zweifel. Sie sprachen wenig davon, denn der Älteste der
Samanas war kein Freund dieser Sage. Er hatte
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