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Siddharta

Siddharta

Titel: Siddharta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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dunkler Eulenruf.
    Als der Tag begann, bat Siddhartha seinen Gastgeber, den
    Fährmann, ihn über den Fluß zu setzen. Der Fährmann setzte
    ihn auf seinem Bambusfloß über den Fluß, rötlich schim-
    merte im Morgenschein das breite Wasser.
    »Das ist ein schöner Fluß«, sagte er zu seinem Begleiter.
    »Ja«, sagte der Fährmann, »ein sehr schöner Fluß, ich liebe
    ihn über alles. Oft habe ich ihm zugehört, oft in seine Augen
    gesehen, und immer habe ich von ihm gelernt. Man kann viel
    von einem Flusse lernen.«
    »Ich danke dir, mein Wohltäter«, sprach Siddhartha, da er
    ans andere Ufer stieg. »Kein Gastgeschenk habe ich dir zu geben, Lieber, und keinen Lohn zu geben. Ein Heimatloser bin ich,
    ein Brahmanensohn und Samana.«
    »Ich sah es wohl«, sprach der Fährmann, »und ich habe keinen
    Lohn von dir erwartet, und kein Gastgeschenk. Du wirst mir
    das Geschenk ein anderes Mal geben.« »Glaubst du?« sagte
    Siddhartha lustig. »Gewiß. Auch das habe ich vom Flusse
    gelernt: alles kommt wieder! Auch du, Samana, wirst
    wiederkommen. Nun lebe wohl! Möge deine Freundschaft
    mein Lohn sein. Mögest du meiner gedenken, wenn du den
    Göttern opferst.« Lächelnd schieden sie voneinander. Lächelnd
    freute sich Siddhartha über die Freundschaft und
    Freundlichkeit des Fährmanns. »Wie Govinda ist er«, dachte er
    lächelnd, »alle, die ich auf meinem Wege antreffe, sind wie
    Govinda. Alle sind dankbar, obwohl sie selbst Anspruch auf
    Dank hätten. Alle sind unterwürfig, alle mögen gern Freund sein, gern gehorchen, wenig denken. Kinder sind die Menschen.«
    Um die Mittagszeit kam er durch ein Dorf. Vor den Lehm-
    hütten wälzten sich Kinder auf der Gasse, spielten mit Kür-
    biskernen und Muscheln, schrien und balgten sich, flohen aber
    alle scheu vor dem fremden Samana. Am Ende des Dorfes führte
    der Weg durch einen Bach, und am Rande des Baches kniete ein
    junges Weib und wusch Kleider. Als Siddhartha sie grüßte, hob
    sie den Kopf und blickte mit Lächeln zu ihm auf, daß er das
    Weiße in ihrem Auge blitzen sah. Er rief einen Segensspruch
    hinüber, wie er unter Reisenden üblich ist, und fragte, wie
    weit der Weg bis zur großen Stadt noch sei. Da stand sie auf
    und trat zu ihm her, schön schimmerte ihr feuchter Mund im
    jungen Gesicht. Sie tauschte Scherzreden mit ihm, fragte, ob er schon gegessen habe, und ob es wahr sei, daß die Samanas
    nachts allein im Walde schliefen und keine Frauen bei sich
    haben dürften. Dabei setzte sie ih-
    ren linken Fuß auf seinen rechten und machte eine Bewe-
    gung, wie die Frau sie macht, wenn sie den Mann zujener Art
    des Liebesgenusses auffordert, welchen die Lehrbücher »das
    Baumbesteigen« nennen. Siddhartha fühlte sein Blut erwar-
    men, und da sein Traum ihm in diesem Augenblick wieder
    einfiel, bückte er sich ein wenig zu dem Weibe herab und
    küßte mit den Lippen die braune Spitze ihrer Brust. Auf-
    schauend sah er ihr Gesicht voll Verlangen lächeln und die
    verkleinerten Augen in Sehnsucht flehen.
    Auch Siddhartha fühlte Sehnsucht und den Quell des Ge-
    schlechts sich bewegen; da er aber noch nie ein Weib berührt
    hatte, zögerte er einen Augenblick, während seine Hände
    schon bereit waren, nach ihr zu greifen. Und in diesem
    Augenblick hörte er, erschauernd, die Stimme seines Innern,
    und die Stimme sagte nein. Da wich vom lächelnden Gesicht
    der jungen Frau aller Zauber, er sah nichts mehr als den
    feuchten Blick eines brünstigen Tierweibchens. Freundlich
    streichelte er ihre Wange, wandte sich von ihr und ver-
    schwand vor der Enttäuschten leichtfüßig in das Bambusge-
    hölze.
    An diesem Tage erreichte er vor Abend eine große Stadt, und
    freute sich, denn er begehrte nach Menschen. Lange hatte er
    in den Wäldern gelebt, und die stroherne Hütte des
    Fährmanns, in welcher er diese Nacht geschlafen hatte, war
    seit langer Zeit das erste Dach, das er über sich gehabt hatte.
    Vor der Stadt, bei einem schönen umzäunten Haine, be-
    gegnete dem Wandernden ein kleiner Troß von Dienern und
    Dienerinnen, mit Körben beladen. Inmitten in einer ge-
    schmückten Sänfte, von Vieren getragen, saß auf roten Kissen
    unter einem bunten Sonnendach eine Frau, die Herrin.
    Siddhartha blieb beim Eingang des Lusthaines stehen und sah
    dem Aufzuge zu, sah die Diener, die Mägde, die Körbe, sah
    die Sänfte, und sah in der Sänfte die Dame. Unter hochge-
    türmten schwarzen Haaren sah er ein sehr helles, sehr zartes,
    sehr kluges Gesicht, hellroten

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