Sie fielen vom Himmel
körperliche – mein Gott, Doktor, das sollten Sie als Mediziner besser wissen als ich –, die können Sie nicht eindämmen mit Geist, mit Injektionen, mit Antihormonen, mit Elektroschocks, mit dem Skalpell, ebensowenig, wie Sie die ganze Natur umdrehen können und erreichen, daß der Bock nicht mehr der Ricke, sondern einer Füchsin nachläuft.«
»Das ist deutlich, Herr von Sporken.«
»Sie wollten doch Deutlichkeit, Doktor. Klarheit ist immer das Einfache! Der Mensch kompliziert unnötig die Dinge seiner Umwelt … die Zurückführung auf den einfachen, simplen Nenner ist viel wichtiger und gibt viel interessantere Aufschlüsse über sein Wesen.«
»Mit anderen Worten – Renate will zum Monte Cassino kommen?!« Dr. Pahlbergs Stimme war gepreßt, die Erregung dieser von v. Sporken bestätigten Erkenntnis übermannte ihn fast.
»Es scheint so«, antwortete v. Sporken vorsichtig. Er trat an Dr. Pahlberg heran und legte ihm freundschaftlich den Arm um die Schulter. Sie waren gleich groß, nur wirkte v. Sporken massig gegenüber dem fast überschlanken Arzt. »Wenn Renate eine Möglichkeit herausgefunden hat, sich an die Front zu Ihnen zu schmuggeln, so wird sie es tun! Dann halten Sie sie nicht mit schönen, beschwörenden Worten auf, dann hält sie Stucken nicht auf, nicht Kesselring, nicht der Führer. Heil ihm!« Er lachte und verstummte sofort, als er das schmerzliche Gesicht Pahlbergs sah. »Meine Frau, lieber Doktor, lebt jetzt in Hamburg. Jeden Tag und jede Nacht sitzt sie im Luftschutzkeller unter den Einschlägen der britischen Bomber. Jede Stunde hat sie den Tod vor Augen … vielleicht ist sie schon tot … gestern nacht oder vorgestern oder soeben, in der Minute, in der wir uns unterhalten. Ich weiß es noch nicht, und es wäre furchtbar für mich, unbeschreiblich. Alle unsere Frauen stehen an der Front … in der Heimat mehr als Ihre Renate in Rom! Wenn sie wirklich zum Monte Cassino kommt, ein Teufelsmädchen, das sich durchschlägt durch alle Sperren und über alle Gesetze und Befehle hinweg, wenn sie wirklich bei Ihnen unten im Lazarettkeller steht und Deutsche, Inder, Maori und Marokkaner mit Ihnen zusammenflickt … Mensch, Doktor … dann seien Sie glücklich, sie hier zu haben, unter Ihren Augen, in Ihren Armen … Meine Frau sitzt allein in Hamburg in einem Kellerloch, und sie wird, wenn es Gott so will, unter einer Bombe sterben, auch allein. Was glauben Sie, wie glücklich sie wäre, wie glücklich ich wäre, wenn wir zusammen in diesem Loch säßen und zusammen stürben oder zusammen überlebten … Dieses Gemeinsame ist das Schönste, was wir Menschen haben. Solange es das gibt, kann mir auch der mörderischste Krieg nicht den letzten Funken Achtung vor den Menschen rauben. Dieses wundervolle Wir in dieser Welt, diese zauberhafte Verschmelzung von Du und Ich zu einem einzigen – Doktor Pahlberg, das ist eine Entschädigung für alle Anklagen, die wir gegen Gott bereithalten.«
In der Nacht schrieb Dr. Pahlberg einen Brief an Renate. Als er fertig war, zerriß er ihn wieder und verbrannte die Schnitzel. Es waren hohle, dumme Worte, die sie doch nicht erreichen würden. Bald werde ich bei dir sein … Mit zitterndem Herzen wartete Dr. Pahlberg.
In dieser Nacht, die still war, nicht einmal unterbrochen durch das nächtliche Streufeuer der amerikanischen Artillerie oder das Störfeuer der im Tal stehenden Panzer, hockten Theo Klein und Heinrich Küppers außerhalb ihrer kleinen Steinfestung und kochten Kaffee.
Dieses Kaffeekochen war ein Meisterwerk an Tarnung. Da es verboten war, durch Feuerschein dem Gegner die Stellungen zu verraten, andererseits man auf kaltem Wege keinen Kaffee kochen konnte, hatten Theo Klein und Heinrich Küppers einen sogenannten ›Kochbunker‹ gebaut. Er bestand aus den ehrwürdigen und oft gesegneten Steinen der Basilika und des Refektoriums und sah aus wie ein eckiger Iglu der Eskimos. In dieser aufgeschichteten Steinhöhle, deren Innenraum entgegen allen statischen Gesetzen nicht einstürzte, hockten die beiden Wackeren um einen gemauerten kleinen Herd, dessen Feuer wiederum, als doppelte Sicherheit sozusagen, mit dem breitgehämmerten Blech eines zerschossenen MG-Munitionskastens bedeckt war, was eine schöne, leicht glühende Kochplatte ergab und die Flammen gedämpft hielt. Auf dieser Kochplatte stand der Kessel mit dem summenden Kaffeewasser.
Feldwebel Maaßen und Müller 17 hatten Außenwache, Josef Bergmann half, die Trägerkolonnen, die den Berg
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