Sie fielen vom Himmel
»Du versprichst mir, vorsichtig zu sein?«
»So vorsichtig wie nur irgend möglich! Ich werde sogar das Skalpell mit zwei Fingern anfassen, um mich nicht daran zu schneiden.«
Sie nickte und ärgerte sich, daß ihr wieder die Tränen in die Augen schossen und das Bild des Bahnhofes und der drängenden Soldaten sich verwischte und unklar wurde wie hinter einer Milchglasscheibe.
»Schreibe sofort, wenn du in Neapel bist. Schreibe jeden Tag …«, bat sie.
Eine Ordonnanz drängte sich durch die Menge. Er suchte jemanden. Als er Erich Pahlberg sah, leuchtete sein Gesicht auf, er rannte auf ihn zu und baute sich vor ihm auf. »Herr Stabsarzt Doktor Pahlberg?«
»Ja.«
»Ich soll Ihnen melden, daß im Offizierswagen … dritter Wagen von vorn … ein Platz für Sie reserviert ist. Herr Hauptmann Steinmüller erwarten Herrn Stabsarzt.«
»Danke.« Pahlberg hob die Hand an die Mütze, die Ordonnanz rannte zurück zum Zug.
Renate umklammerte seinen Arm. »Du mußt gehen, Erich …«
»Ja, Renate.«
Sie sahen sich in die Augen, lange, innig, jeder das Bild des anderen in sich aufnehmend. Sie hat blaue Augen, dachte er. Blaue Augen mit einem grünen Punkt unterhalb der Pupille. Ihre Iris ist netzförmig wie ein Spinnennetz.
Er hat braune Augen, dachte sie. Tiefe, braune Augen. Und an den Schläfen beginnt sein Haar grau zu werden. Ganz leicht nur, wie ein Schimmer, aber ich sehe ihn. Ich sehe alles an ihm. Er ist ja ein Teil von mir geworden, ein Stück meiner selbst. Er wird in zwei Jahren schön aussehen … ein Mann mit grauen Schläfen und 35 Jahren.
Ihr blondes Haar leuchtete in der Sonne. Behutsam strich er darüber, so wie ein Bauer die Ähren durch die Hand gleiten läßt und sich freut, daß sie reif werden.
»Leb wohl, mein Goldhelm«, sagte er leise.
»Komm wieder, Erich.«
Sie küßten sich. An ihnen vorbei strömten die Landser zu den Zügen. An der Sperre gab es einen Krach, weil ein Bayer zu einem Feldgendarm »Leck mich am Arsch« gesagt hatte.
Dr. Pahlberg nahm seinen Koffer. Mit hängenden Armen stand Renate daneben. Ihre Augen waren erloschen … sie waren tot, glanzlos, wie erblindet.
Noch einmal sah er sich um, kurz vor der Sperre. Sie stand noch immer auf dem gleichen Fleck, starr, im Schmerz versteinert.
Er setzte den Koffer nieder, ihre Blicke trafen sich.
»Renate«, sagte er leise. – »Erich –«
Mit einem Ruck riß er den Koffer an sich und lief durch die Sperre. Er rannte den Bahnsteig entlang zum dritten Wagen von vorn und warf die Tür auf. Sein Gesicht war verzerrt, als er das Abteil betrat.
Hauptmann Steinmüller hob grüßend die Hand. Er rauchte eine Zigarre und hieb mit der Faust auf den kleinen Klapptisch am Fenster.
»Bei Battipaglia haben unsere Fallschirmjäger heute nachmittag ein ganzes englisches Bataillon gefangen! 100 deutsche Jungens lochen 450 Engländer ein!« schrie er voll Triumph. »Das ist deutscher Kampfgeist, Doktor! Damit gewinnt man Kriege! Wenn man so etwas hört, zuckt einem das Soldatenherz in der Brust …«
Dr. Pahlberg wandte sich ab. Er hatte das Gefühl, sich erbrechen zu müssen.
In der Unterkunft des Divisionsstabes der 34. Fallschirmjäger-Division schnallte sich Major Caspar von der Breyle sein Koppel mit der 08 um. Die Division lag in einem alten Bauernhaus nördlich von Eboli am Tusciano, einem Gehöft, das die Bauern verlassen hatten, als sie in die Berge flohen. Oberst Hans Stucken saß in Hemdsärmeln am Kartentisch und wartete auf einen Anruf der Nachbardivision, um sich ein eigenes Bild von der Lage zu machen. Die Nachrichten waren in den letzten Stunden verworren gewesen … Battipaglia hatten die 100 Fallschirmjäger des Hauptmann Gottschalk in einem einmaligen Handstreich genommen … von da ab zerriß jede Verbindung zu der 3. Kompanie. Störungssucher fanden die Leitung durchschnitten, das erste Anzeichen von Partisanen im Gebiete der Division. Aber selbst, als die Leitung geflickt war, schwieg die 3. Kompanie. Nun wartete Stucken auf einen Anruf der benachbarten 29. PGD. Er hatte die heimliche Hoffnung, daß Gottschalk und seine Männer die Verbindung zu ihr aufgenommen hatten.
»Sie sind ein Glückspilz, Breyle«, sagte Oberst Stucken zu seinem Ib. »Ich wünschte, ich könnte meinen Sohn auch irgendwo im Gelände treffen!«
Major von der Breyle glänzte über das ganze Gesicht. »Drei Jahre ist es her, Herr Oberst, seit ich den Jungen sah. Immer hatten wir verschieden Urlaub. Einmal war ich drei Wochen zu Hause, als
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