Sie fielen vom Himmel
gerade.«
»Das macht nichts. Danke.«
Wieder die Handbewegung an den Helm. Krankowski mimte so etwas wie Haltung und schüttelte den Kopf, als Renate weiter in den Hintergrund ging. Der Soldat mit dem Oberarmschuß grinste breit. »Zackig, was? Lernen die alles auf der Kriegsschule.«
»Und so was bei uns im Kloster!« Krankowski nahm die hingelegte Verbandrolle wieder auf und wickelte den Mull weiter um den geschienten Oberarm.
In dem zweiten Zimmer links vom Gang stand Dr. Pahlberg an dem zusammenklappbaren OP-Tisch und holte aus einem Oberschenkel eine MG-Kugel heraus. Der Soldat war nur lokalanästhetisiert, unterhielt sich mit dem Stabsarzt und sah ungerührt zu, wie er mit der Pinzette in der Wunde herumsuchte und endlich das Projektil zwischen den Pinzettenbacken gefaßt hatte.
»Sie haben Glück gehabt, mein Lieber«, sagte Pahlberg freundlich. »Die Kugel hat sich in Ihrem fetten Oberschenkel schön festgesetzt. Kein Knochen verletzt, nicht mal die Knochenhaut angeritzt. Ein schönes Schüßchen.«
»Mir reicht's.« Der Soldat lächelte breit. »Kommt man damit in die Heimat, Herr Stabsarzt?«
»Ich glaube kaum. Das heilen sie in Rom aus.«
»Mist.«
»Kann man sagen. Wäre der Knochen verletzt, dann ging's ab zu Muttern. Aber so … in 14 Tagen spielen Sie wieder Fußball.«
»Oder ich liege hier wieder im Dreck und schieße auf die Gurkha.«
»Auch das ist möglich.«
In diesem Augenblick trat Renate in das Zimmer. Dr. Pahlberg sah sich kurz um, bemerkte die Leutnantsspiegel und winkte nach hinten. »Bin gleich fertig, Herr Leutnant! Einen Augenblick!«
Gehorsam, mit zitternden Knien, lehnte sich Renate an die Wand des Kellerraumes. Erich, das ist Erich … Wie schmal er geworden ist, wie dürr, wie alt … Sie preßte die Hände auf die Brust, um nicht laut seinen Namen zu rufen, sie stemmte die Füße gegen den Steinboden, weil sie den Drang hatte, zu ihm hinzustürzen, sich an seinen Hals zu werfen und zu schreien: Ich bin es, Erich. Ich, Renate! Ich bin bei dir … bei dir … bei dir … Endlich für immer! Und sie würde ihn küssen, dieses schmale, ausgemergelte Gesicht, diese müden Augen, den zuckenden Mund … Sie schloß die Augen und wandte den Kopf zur Seite. Ruhe, befahl sie sich. Nur Ruhe … Noch zwei Minuten Ruhe …
Der Mann mit dem Oberschenkelschuß humpelte aus dem Zimmer.
Dr. Pahlberg ging in den Hintergrund des Zimmers und wusch sich in einem Blecheimer die Hände.
»Und nun zu Ihnen, Herr Leutnant! Hat Ihnen Unteroffizier Krankowski schon eine Tetanus gegeben?«
»Nein«, sagte Renate mit ihrer natürlichen Stimme. Sie hatte den randlosen Helm abgenommen … ihre blonden Haare, der aufgelöste, kurzgeschnittene Goldhelm, leuchteten in dem schwachen Schein der beiden Petroleumlampen. Dr. Pahlberg fuhr bei dem Nein herum. Die Seife und das Handtuch entfielen seinen Händen … er starrte den Besucher vor sich an, unfähig, sich zu rühren, nicht glaubend, was er sah, gelähmt von der Plötzlichkeit des Geschehens. »Das ist doch nicht möglich …« stammelte er. »Das … das ist doch nicht wahr …«
Renate hob zaghaft die Arme. »Erich –«, sagte sie leise, wie um Verzeihung bittend.
»Renate!«
Er stürzte zu ihr hin, riß sie von der kahlen Mauer fort in seine Arme, sie lag an seiner Brust wie leblos, mit geschlossenen Augen, aus denen die Tränen rannen. Die Anspannung der letzten Stunden, die Konzentration ihrer Nerven und ihres Willens, lösten sich … sie fiel zusammen, als habe sie keine Knochen mehr, und hing in Pahlbergs Armen wie eine Ohnmächtige.
Sie sprachen nicht mehr … lange standen sie sich stumm gegenüber, voll plötzlichem Entsetzen über die Erkenntnis der geschaffenen Lage. Dann küßten sie sich, ebenso stumm wie innig, und mit diesem Kuß versanken der Berg Monte Cassino und die Höhe 435, auf der die Inder lagen und auf einen neuen Sturm warteten. Sie küßten sich mit der Versunkenheit zweier Menschen, die wissen, daß es der letzte Kuß sein kann, und die sich an diesen Kuß klammern wie an einen letzten Atemzug, ihn mit der ganzen Seele genießend, ehe er verseufzt ist. Vor der Tür stand Krankowski und hatte zum drittenmal geklopft. Als er keine Antwort bekam, legte er das Ohr an die Tür. Aber er hörte nichts. Achselzuckend ging er in den großen Raum zurück. Dort traf er auf Major v. Sporken, der gerade die Treppe herunterstieg.
»Der Stabsarzt da?« fragte er. Er gab Krankowski eine Packung Zigaretten, denn er wußte,
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