Sie fielen vom Himmel
Gehirn, und eine Flut von Gedanken überschwemmte ihr Inneres. Sie raffte die Uniform zusammen, rannte den langen Gang entlang, sprang die Treppen des Nebengebäudes empor, rannte, sich die Schwesternhaube von den Haaren reißend, über die winkligen Flure und stürzte in ihr Zimmer. Mit zitternden Händen stieß sie die Schranktür auf und warf die Uniform in eine Ecke, schichtete Schürzen und Unterwäsche darüber und schloß dann die Tür. Mit dem Rücken stemmte sie sich dagegen, als könne sie von innen gewaltsam geöffnet werden, und legte schweratmend die flachen Hände gegen die pochenden Schläfen.
Eine Uniform! Sie hatte eine Uniform! Einen Stahlhelm, einen ›Knochensack‹, ein Paar Springerstiefel! Die Uniform eines Leutnants, der so groß war wie sie, so schlank wie sie … Sie starrte gegen das helle Viereck des Fensters. Es war offen, die Gardine flatterte im Zugwind. Sonne prallte gegen den dünnen, weißen Stoff … der Himmel war blau, durchsetzt mit kleinen, zarten Wolken. Unter diesem Himmel zogen die Geschwader dahin … Transporter nach Transporter, Ju 52 mit dicken, bis an den Rand gefüllten Leibern.
Am Abend schloß sich Renate Wagner ein und zog die Uniform an. Dort, wo der Granatsplitter den linken Unterschenkel zerfetzt hatte, eine Handbreit unter dem Knie, war der Stoff der Kombination zerrissen, versengt, mit Blut durchtränkt und verhärtet von geronnenem Blutserum. Sie verspürte keinen Ekel, als sie das geronnene Blut an ihrem Bein fühlte, als der erstarrte Stoff über ihre Haut kratzte … sie knöpfte die Kombination zu, sie zog die Springerstiefel an und verschnürte sie. Als sie den randlosen Helm aufsetzte, hatte sie Mühe, ihre blonden Haare unter ihm zu verbergen. Sie drückte den ›Goldhelm‹ – die Bezeichnung Erichs fiel ihr in diesem Augenblick wieder ein, und sie lächelte wehmütig – mit beiden Händen nieder und schob den Helm darüber, stopfte die seitlichen Haare hoch unter das Schaumgummipolster und legte den Kinnriemen um das kleine, schmale Gesicht. Als sie vor den Spiegel trat, erkannte sie sich kaum in dieser völligen Verwandlung. Der Helm machte ihr Gesicht kantig – jetzt, da nicht mehr die Haare den Kopf umschmeichelten, wirkte er trotz seiner Schmalheit streng und fast asketisch. Die silbernen Schulterstücke hingen etwas nach vorn … Leutnant Braun hatte breitere Schultern gehabt. Sie schob die Uniform etwas nach hinten und stopfte die so entstehende Beule als Falte zwischen das eng gezogene Koppel. Als sie an der Seite hinuntertastete, spürte sie etwas Hartes zwischen den Fingern. Sie griff zu und hielt das Kappmesser in der Hand. Der Anblick des Messers entsetzte sie, sie spreizte die Finger und ließ das Messer zu Boden fallen.
»Leutnant Wagner«, sagte sie leise. Ihre Stimme war heiser vor Erregung. »Leutnant Reinhold Wagner …« Plötzlich riß sie den Helm vom Kopf und warf ihn fort. Er rollte klappernd in die Ecke. »Mein Gott, ich bin ja verrückt, ich bin ja völlig verrückt«, stammelte sie.
Sie warf sich auf das Bett, mit dem Gesicht nach unten, und weinte.
Unterdessen hatte Feldwebel Hugo Lehmann III seinen schlechten Tag.
Er stand auf dem Übungsplatz der Fallschirmjäger-Lehrabteilung zwei etwas außerhalb Roms nach Monterosi zu und betrachtete mißmutig, wie die angehenden Fallschirmjäger im Luftstrom des ›Windesels‹ sich an den Fallschirmen wegschleifen ließen und dann aufsprangen, den Schirm unterliefen und versuchten, die vom Wind geblähte Seide zum Einfallen zu bringen. Der Windesel war ein altes Flugzeug mit abgesägten Tragflächen und gekapptem Rumpf, das einzig die Aufgabe hatte, einen riesigen Windstoß zu erzeugen und die Fallschirmschüler an den Schleifriemen über den Boden zu jagen. Die Kunst dabei war, auf die Beine zu kommen und den Schirm so zu umlaufen, daß er einfiel. – Feldwebel Lehmann III überblickte den Übungsplatz. Von seinem aufgeblähten Schirm gezogen, schleifte Eugen Tack über den Rasen. Tack, in Lehmanns Augen die trübe Tasse des Lehrgangs, ließ sich über den Boden ziehen, daß die Klumpen aufspritzten.
»Auf!« brüllte Lehmann III. »Beine vor! Den Schirm umlaufen!« Er griff nach der ›Flüstertüte‹, dem Megaphon, und holte tief Atem. »Tack! Sie Rindvieh!« schrie er über den weiten Platz. »Über die Schulter abrollen! Beine vor!«
Auf dem Nebenfeld hockte Fallschirmschütze Dombert unterdessen in einem anderen, abmontierten Flugzeug, den Rumpf einer Ju 52. Er hing
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