Sie fielen vom Himmel
fallen … er griff sich mit beiden Händen an die Brust, taumelte nach vorn und stöhnte. Ehe Jürgen ihn auffing, brach er zusammen und lag im Schnee, ein dunkler, zuckender Klumpen. Jürgen ließ sich auf die Knie fallen … die Beinwunde stach, er verzog das Gesicht und schloß einen Augenblick vor dem stechenden Schmerz die Augen. Dann schaufelte er mit seinen Händen, mit der zerschossenen und der zitternden unverletzten, Schnee über das Gesicht des Vaters, riß ihm den Helm vom Kopf, öffnete über der Brust die Kombination und die Uniform, rieb die schweratmende Brust mit Schnee ein und massierte das zuckende, aussetzende Herz. Er sah nicht, wie sein Blut über die Brust des Vaters rann, wie der Schnee ein scheußlicher, hellroter Matsch wurde, mit dem er das Gesicht des Ohnmächtigen einrieb – er schleifte den schweren Körper hinter einen Stein und bettete das kraftlose Haupt in seinen Schoß, neben dem aufgerissenen Oberschenkel. Es dauerte über eine halbe Stunde, bis Major von der Breyle die Augen aufschlug und in das stoppelbärtige, schmale, ausgezehrte Gesicht Jürgens über sich blickte. Er schloß schnell wieder die Augen, wälzte sich zur Seite, aus dem Schoß seines Sohnes, richtete sich auf und blieb, mit dem Rücken zu Jürgen, leicht schwankend stehen.
»Das ist schlimmer als der Tod!« sagte er schwer atmend. Dann schwieg er wieder. Er hatte das Gefühl, schreien zu müssen. Er griff sich an den Hals und spürte nicht die Kälte, die gegen seine bloße Brust prallte. Er fuhr herum und starrte seinen Sohn mit blutunterlaufenen Augen an. »Was soll ich deiner Mutter sagen?!« schrie er grell. »Was soll ich ihr sagen, du Lump?! Du Schuft! Du erbärmliches Schwein!« Er hob die Hand und schlug zu. Immer und immer wieder, rechts und links und links und rechts … Der Kopf Jürgens flog unter diesen Schlägen hin und her, aber er trat nicht einen Schritt zurück, er hob nicht abwehrend die Hand, er ertrug die Schläge mit geschlossenen Augen und zusammengepreßten Lippen. »Ich bin dein Vater!« schrie von der Breyle. »Ich schlage dich, meinen Sohn, meinen erwachsenen Sohn … den Leutnant Jürgen von der Breyle, den letzten Sproß einer Offiziersfamilie, die 400 Jahre der Krone und Deutschland diente! 400 Jahre ohne Verrat, ohne Schweinereien … 400 Jahre mit Stolz, mit Ehre, mit Ruhm! Deine Ahnen waren Generäle … sie trugen die höchsten Orden … und ich schlage ihn, den Letzten, den Allerletzten, meinen Sohn, der ein Lump ist, ein Verräter, ein Mörder seiner Kameraden …«
Erschöpft ließ er die Hände sinken. Vor ihm pendelte noch das rotgeschlagene, anschwellende Gesicht seines Sohnes. Ein kalter Strom durchzog sein Herz … er zitterte und klapperte mit den Zähnen wie in einem wilden Schüttelfrost. »Was soll ich deiner Mutter sagen?« wiederholte er fast weinerlich.
»Du hast auf mich geschossen, Vater …«
»Auf den Partisanen! Auf den Hund, der als deutscher Soldat gegen seine eigenen Brüder kämpft!«
Jürgen von der Breyle preßte die Hand auf die Armwunde. Sie brannte wie tausend Feuer. Bis zu den Fingern herunter zuckten die Nerven, es war ein Flimmern in seinem Körper, ein fast hörbares Surren der Nerven. »Ich will den Krieg vernichten, Vater.«
»Indem du ein Mörder wirst?« Von der Breyle trat auf seinen Sohn zu. Ganz nahe standen sie voreinander, sie spürten den erregten Atem des anderen, und es war der Atem des Vaters, der Atem des Sohnes. »Was soll daraus werden?« fragte von der Breyle leise. »Jürgen … wie sollen wir uns hier herausfinden …«
»Du gehst zu deiner Truppe und ich zu meinen Leuten.«
»Nein. Das geht nicht. Das geht nicht, Jürgen. Ich bin der Leiter der Partisanenbekämpfungsgruppe. Unter meiner alleinigen Verantwortung steht die Aktion, die jetzt angelaufen ist! Ich habe die Pflicht, jeden Partisanen zu exekutieren, vor allem den deutschen Chef der Gruppe!«
»Also mich, Vater!« – »Ja. Dich, mein Junge.« Sie sahen sich an. Die Augen von der Breyles flimmerten, sie wurden naß. Er weinte. Jürgen wandte sich ab. »Tu deine Pflicht, Vater«, sagte er leise. »Aber ziele besser als vorhin …«
»Jürgen!« Major von der Breyle umklammerte den Schaft der Maschinenpistole. Das kalte Metall durchdrang ihn wie Feuer, er hatte das Empfinden, seine Handflächen würden versengt. Seine Hände zuckten zurück.
»Du bist Soldat, Vater! Du bist Offizier!«
»Du auch! Und du hast die Uniform in den Dreck gezerrt wie einen
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