Sie fielen vom Himmel
schutzsuchend und glücklich in der wohligen Geborgenheit ihres Schoßes. Vor der Höhle schneite es, im Tal zermalmten Granaten die Häuser von Cassino. Sanitäter trugen, ächzend und vor den Einschlägen sich hinwerfend, die Bahren und Zeltplanen mit den Verwundeten zu den Sammelstellen. Sie hörten nichts und schliefen.
Das Feldlazarett war in Albaneta hinter dem Monte Cassino abgeschnitten. Die Via Casilina wurde von Bombergeschwadern kontrolliert, vom Monte Castellone rückten Amerikaner und Inder heran, den Ort Cassino umgehend. Dr. Heitmann rannte durch die überfüllten Zimmer, in denen es nach Blut, Eiter, Kot und Urin stank. Er suchte Dr. Pahlberg, der einem Wimmernden eine Injektion gab.
Oberstabsarzt Dr. Heitmann lehnte sich an die Wand, sein Atem flog. In seinem dicken Gesicht waren die Stirnadern unnatürlich angeschwollen. Beginnende Arteriosklerose, konstatierte Dr. Pahlberg im stillen, als er zu dem Erregten aufblickte.
»Das Verbandsmaterial geht zu Ende«, sagte Heitmann leise. »Krankowski kommt eben und sagt, daß nur noch für 3 Tage Verbände hier sind! Und auch nur Papierbinden, dieser Scheißdreck, der mehr 'rein- als 'rausläßt! Jetzt können wir mit der Pinzette die Papierfetzchen aus den Wunden heraussuchen! Und Tetanus haben wir nur noch 300 Ampullen! Was sind 300!«
Pahlberg erhob sich. Der Verwundete war verstummt. Er schlief.
Heitmann sah auf ihn hinab. »Hoffnungslos?«
Pahlberg nickte. »Ja. Lungenschuß. Der ganze linke Flügel muß zerrissen sein.«
Sie gingen durch die Reihen der Verwundeten, an Strohsäcken vorbei, die von den bereits Gestorbenen durchblutet waren, und auf die man einfach die Neuen gelegt hatte. Gustav Drage wusch eine Wunde aus … das Schienbein war zertrümmert, und der Eiter lief aus der gräßlichen Wunde wie aus einer Quelle. In der Ecke eines anderen Zimmers drückte August Humpmeier einen Tobenden nieder. »Sie kommen!« brüllte der Verwundete. »Sie kommen! Da! Turbane! Inder! Weiße Turbane! Hilfe! Hilfe!« Er schleuderte Humpmeier wie eine Feder weg und sprang aus der Decke heraus. Gustav Drage rannte herbei und stürzte sich mit Humpmeier wieder auf den Schreienden. Mit brutaler Gewalt warfen sie ihn auf den Strohsack zurück. »Nicht schießen«, wimmerte er. »Nicht schießen … Ich habe Angst – Angst – Angst.« Sein Schrei gellte den Ärzten durch die Räume nach. Angst, zitterte es von den Wänden … Angst …
»Kopfschuß«, sagte Dr. Pahlberg. »Wir müssen ihn bei besserem Wetter weitergeben nach hinten. Er demoralisiert mit seinem Schreien die ganzen Zimmer …«
Aus dem provisorischen Verbands- und Operationsraum kam ihnen Unteroffizier Krankowski entgegen. Sein Gesicht war fahler als bisher, die Wangen waren eingefallen und fast hohl. Wie ein Schwindsüchtiger, mußte Pahlberg denken. Und dabei fehlt ihm nur eine Woche Schlaf. Sehen wir alle so aus wie er? Er blickte zu Dr. Heitmann hinüber. Sein dickes Gesicht war schlaff, tiefe Hautfalten überzogen seinen Oberhals. »Nur noch 300 Tetanus, Krankowski?« fragte Pahlberg, um sich abzulenken.
»Jawohl, Herr Stabsarzt. Und kaum noch Verbände! Wir haben bereits von den Toten die guten Mullstreifen wieder abgewickelt und gewaschen. Wenigstens etwas.«
Dr. Pahlberg nickte. Wenigstens etwas … so wanderten die Verbände von einem zum anderen. Der Tod half so den neuen Stöhnenden, bis auch sie mit offenem Mund und glasigen Augen auf den Strohsäcken lagen und von Drage und Humpmeier hinausgeschleppt wurden, in den Schnee, hinter eine Scheune. Jeden zweiten Tag kam ein Beerdigungskommando mit einem Lastwagen und holte die Leichen ab … nachts hatte Krankowski alle Hände voll zu tun, die durchgebrochenen Erkennungsmarken zu registrieren und Verlustmeldungen an die betreffenden Einheiten weiterzugeben. Die bürokratische Behandlung der Todesfälle durfte nicht lahmliegen oder unterbrochen werden. Zu Hause hatten sie ein Recht darauf, einen Brief zu bekommen mit der Nachricht: Gefallen für Großdeutschland. Am 6., 7., 8., 9., 10., 11. Februar 1944 … Vor Monte Cassino. Für die Verteidigung des Vaterlandes! In stolzer Trauer … Jeden Tag in den Zeitungen drei, vier Seiten … Kreuz an Kreuz … bis es hieß: Pro Tag nur soundsoviel Anzeigen und nicht mehr! Die Heimat sollte nicht unruhig werden vor dem Wald von Kreuzen, der ihr jeden Morgen aus der Zeitung entgegenschrie. Wir sind dem Endsieg näher als je zuvor! Haltet aus! Im Sturmgebraus! Und solltet ihr wanken, denkt
Weitere Kostenlose Bücher