Sie haben mich verkauft
Nervosität, während die Männer mich argwöhnisch beäugten. Zu meiner großen Erleichterung glaubten sie mir, und ich musste lediglich ein paar weitere Stunden mit ihnen und Gul verbringen, musste lachen, rauchen und trinken.
Innerlich triumphierend, ging ich nach Hause, weil ich diese widerlichen Kreaturen ausgetrickst und sie um das Geld gebracht hatte, das sie sich von dem armen Mädchen erhofft hatten. Aber ich wusste auch, dass ich großes Glück gehabt hatte. Ich musste einfach raus aus dieser Welt. Ich verabscheute sie zu sehr, als dass ich noch lange darin würde überleben können.
Ich hatte jetzt ein neues Leben, mit Murat.
Es war ja gut und schön, die zwielichtige Sexbranche hinter mir zu lassen, aber Arbeit fand ich deswegen leider immer noch keine. Der Sommer ging allmählich in den Herbst über,und ich machte mir mehr und mehr Sorgen. Murat hatte mir zweihundert Pfund gegeben, die ich nach Hause schicken sollte, aber ich konnte ihn nicht ständig um Geld bitten. Was würden Sascha und Luda wohl denken, wenn ihre Mama sich mal wieder nicht um sie kümmerte, obwohl sie das doch fest versprochen hatte? Ich wusste einfach nicht mehr, was ich tun sollte.
Da ich weder Geld noch einen Job hatte, blieb ich stundenlang allein in der Wohnung. Diese Zeit, die ich für mich war, bewirkte etwas Merkwürdiges bei mir. All die Gefühle, die ich seit meiner Entführung und auch seit der Flucht vor Ardy tief in mir auf Eis gelegt hatte, fingen an, in mir zu brodeln. Und ehe ich mich versah, wurde eine regelrechte Flut daraus. Unaufhörlich musste ich an die entsetzlichen Dinge denken, die mir passiert waren, und an all das Schlimme, das ich selbst getan hatte. Mein Leben war ein einziger Dreckhaufen, das begriff ich jetzt. Zum ersten Mal bekam ich Angst vor dem Wiedersehen mit meinen Kindern – würden sie mich hassen wegen der Dinge, die ich getan hatte? Wie sollte ich Pascha je finden? Wie sollte ich ihm gegenübertreten, wenn ich ihn denn fand? Der Gedanke an die drei hatte mich so lange am Leben gehalten, aber inzwischen wusste ich nicht mehr, ob ich sie überhaupt wiedersehen konnte. Ich war schmutzig, entehrt, für immer gezeichnet, und ganz gleich, wie sehr ich Gott bat, mir die Richtung zu weisen, fand ich keine Hilfe.
Die Depression zog mich hinunter an einen dunklen Ort. Murat versuchte zwar, mir zu helfen und mich zu unterstützen, aber schließlich verlor auch er allmählich die Geduld mit mir.
»Dann fahr doch einfach nach Hause, wenn du hier so unglücklich bist«, sagte er immer wieder zu mir. »Fahr zu deinen Kindern.«
»Aber das geht doch nicht. Ich habe dort nichts. Wir werden wieder hungern, und da sind Leute, die mir wehtun werden.«
»Dann hör auf zu heulen.«
»Aber was soll ich denn nur tun?«
»Sieh mal, wir werden schon eine Lösung finden. Lass uns doch einen Anwalt suchen. Der kann uns sagen, wie du legal hierher einwanderst, und dann kannst du hier leben.«
Es war ein Vorschlag, der mir half, einen Sinn in meinem Leben zu sehen. Ich wusste, ich musste irgendetwas unternehmen – ich konnte schließlich nicht ewig ein Schattendasein führen, und außerdem, wie sollte ich denn meine Kinder ernähren, wenn ich nicht arbeitete? Durch die türkische Zeitung fanden Murat und ich eine Anwältin, und ich vereinbarte einen Termin bei ihr.
Das Gespräch war nicht erfolgreich. Die Anwältin schien nicht zu verstehen, was man mit mir gemacht hatte, und feuerte viele brüske, scharfe Fragen auf mich ab. Wenn ich bei meinen Antworten ins Stottern geriet oder mich nicht genau an das erinnern konnte, worüber sie Auskunft haben wollte, war sie offensichtlich verärgert. Am Ende log ich und erzählte, ich sei erst seit sechs Monaten in England, denn ich dachte, wenn die Leute erfuhren, dass ich schon länger hier war, würden sie mich fortschicken. Die Anwältin erklärte mir, sie werde meinen Fall auf den üblichen Instanzenweg schicken, und ich würde einfach warten müssen.
»Es ist nicht leicht, hier ein legaler Staatsbürger zu werden, wissen Sie«, sagte sie. »Es wird lange dauern und Sie eine Menge Geld kosten. Sie werden mich häufig aufsuchen müssen.«
Ihre Einstellung entmutigte mich ebenso wie die Aussicht auf die vielen Termine bei ihr und die ganzen Papiere, die ich ausfüllen musste. Die Wochen vergingen ohne Nachricht,und meine Depression wich der Angst. Endlich hatte ich einer Autoritätsperson vertraut, und ich war überzeugt, man würde mich betrügen. Sie würden
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