Sie haben mich verkauft
ständig schlimmer, wir sehen das alle. Es ist sehr wohl möglich, dass Sergej irgendwie auf Drogen war und zu weit ging, als er den Mann ausraubte.« Ira sah mich an. »Tatsache ist, er ist ein Dieb, und er ist drogensüchtig. So leicht kommt er diesmal nicht davon, wenn die von der Polizei beschließen,ihm das Leben schwer zu machen. Ich an deiner Stelle würde den Frieden und die Ruhe genießen, solange er weg ist. Dein Baby kommt doch bald, oder?«
»Ja.« Ich blickte auf meinen gewölbten Bauch. »In ein oder zwei Wochen.«
»Umso mehr Grund für dich hierzubleiben, statt in so einem zugigen Wartesaal zu sitzen. Mal ehrlich, Oxana, was sollen wir bloß mit dir anfangen?« Ira lächelte freundlich. Sie wusste, wie verzweifelt ich gewesen sein musste, um so etwas zu tun.
»Aber wie soll ich ohne Sergej die Kinder satt bekommen?«, fragte ich betrübt.
»Na ja, weißt du, ich hätte da vielleicht eine Lösung ...«
Auf Iras Vorschlag hin fing ich mit Heimarbeit an und nähte Blumen für die Hochzeitskleider, die sie an ihrem Stand verkaufte. Für jede Blume sollte ich zwei Dollar bekommen, und für die erste brauchte ich fünf Tage. Aber mit der Zeit nähte ich die Rosen und Lilien immer schneller, Blumen, die von Bräuten getragen würden, und an diese Frauen dachte ich beim Nähen unter einer Lampe, wenn die Kinder im Bett waren. Ich hatte immer davon geträumt, in einem wunderschönen weißen Kleid und mit Blumen im Haar meinen Prinzen zu heiraten.
»Eines Tages, Oxana, eines Tages«, sagte ich mir immer wieder, wenn alles im Haus schlief und ich nähte.
Meistens arbeitete ich bis vier Uhr früh und schlief dann ein paar Stunden. Aber manchmal wurde ich auch gerade erst fertig, wenn die Kinder aufwachten und ich kaum aus den Augen gucken konnte, während ich ihnen das Frühstück bereitete. Aber das machte mir nichts aus. Es war eine große Erleichterung, ohne die Angst vor Schlägen zu leben und das Geld zu verdienen, das ich für Lebensmittel brauchte. Fast regte sich schon ein Funken Hoffnung in mir – hätte ich nichtsolche Angst vor dem gehabt, was passieren würde, wenn Sergej nach Hause käme.
Am 9. März 1995 brachte ich unser drittes Kind zur Welt, ein Mädchen, das ich Luda nannte. Wieder spürte ich nichts als Liebe, als ich auf die rundlichen, rosigen Wangen meines Kindes schaute.
»Hallo, kleines Mädchen«, sagte ich sanft zu ihr. »Ich bin deine Mama! Und wir werden sehr glücklich sein, Ehrenwort.«
Ira und Alex hießen uns zu Hause mit kleinen Kuchen und Wein willkommen, und schnell wurde Luda unser aller Liebling. Ich stillte sie, kümmerte mich um die beiden Großen und verdiente mit den Blumen, die ich nähte, alles, was wir brauchten. Ich hatte meine drei Kinder und sorgte gut für uns. Nur das zählte.
Als Luda etwa vier Monate alt war, teilte man mir mit, dass ich wegen Sergejs Verhaftung von der Polizei vernommen werden sollte. Verängstigt und nervös ging ich aufs Polizeirevier und wurde in einen kahlen Raum geführt, in dem eine Polizistin auf mich wartete. Sie deutete auf einen Stuhl, auf den ich mich setzen sollte, und informierte mich über die Details in dem Fall. Dann schaute sie mich mit kaltem Blick an.
»Der Überfall geschah am 24. Februar. Können Sie sich an den Tag erinnern?«, fragte sie. »Ihr Mann sagt, er sei wie üblich mit Ihnen zu Hause gewesen, aber wir haben einen Zeugen, der in der Nacht mit ihm zusammen war und behauptet, er sei den ganzen Abend nicht zu Hause gewesen. Können Sie uns da helfen?«
In Gedanken überflog ich die vergangenen Monate. Wie sollte ich mich an einen bestimmten Abend erinnern? Das war schon so lange her ... Dann fiel mir plötzlich etwas ein, und ich hielt den Atem an.
»Nein. An den Tag kann ich mich nicht erinnern«, sagte ich schnell.
Aber das konnte ich sehr wohl. Der 20. Februar war ein Feiertag gewesen, und ich wusste noch genau, dass Sergej ein paar Nächte darauf sehr spät mit blutigen und aufgeschrammten Knöcheln nach Hause gekommen war.
»Herzchen«, sagte die Polizistin sanft, als ich sie anstarrte. »Wissen Sie, dass Sie sich strafbar machen, wenn Sie Beweise zurückhalten? Unter Umständen bekommen Sie dafür drei bis fünf Jahre Gefängnis.«
Ich starrte auf den Tisch. Ich konnte schweigen, Sergej schützen und Gefahr laufen, von meinen Kindern getrennt zu werden. Oder ich konnte sagen, was ich wusste, und vielleicht gäbe es dann für die Kinder und mich ein Leben jenseits seiner Gewalt und seiner
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