Sie haben mich verkauft
Verbrechen ... Was hatte ich schon für eine Wahl?
»Ich erinnere mich an den Abend«, sagte ich langsam.
Die Polizistin sah mich an, und mein Herz raste, als ich zu reden begann. Ich erzählte ihr alles, woran ich mich noch erinnerte.
»Danke. Es war richtig, dass Sie ausgesagt haben«, meinte sie, als sie mir einen Stift reichte, damit ich meine Aussage unterschreiben konnte.
Ein paar Monate später stand Sergej wegen Diebstahl und Totschlag vor Gericht.
Die Nachricht, dass er vor Gericht gestellt und möglicherweise zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden würde, nahm ich mit gemischten Gefühlen auf. Einerseits war ich froh darüber, dass er vielleicht bald hinter Gitter käme und mich nie mehr verletzten konnte – vielleicht hatte Gott meine Gebete ja endlich erhört, so wie ich mir das immer erhofft hatte. Aber andererseits hatte ich Angst vor einem Leben ohne meinen Mann. Das ist nicht einfach zu verstehen, aber wennman so lange verprügelt wird, glaubt man schließlich, dass man schwach und wertlos ist, so wie einem das ständig eingeredet wurde, und in einem derart harten Land wie der Ukraine bedeuten oftmals die paar Dollar, die ein gewalttätiger Ehemann nach Hause bringt, dass man mit seinen Kindern nicht verhungern muss.
Außerdem hatte ich ihn ja mal geliebt, und auch er hatte mich geliebt. Wir hatten drei gemeinsame Kinder, einschließlich der Tochter, die er noch gar nicht kannte. Ich trauerte einfach um die Freude, die wir geteilt, und um die Chancen, die wir einmal gehabt hatten. Wohin war all das Glück entschwunden? Wieso hatte sich alles derart zum Schlimmen gewendet?
Im April 1996 erfuhr ich dann, dass man Sergej wegen Totschlags verurteilt hatte. Und zwar zu sieben Jahren Gefängnis.
Ein paar Wochen nach der Verhandlung ging ich ihn im Gefängnis besuchen. Er wartete auf mich in einer Kabine, die mit einer Glasscheibe vom Besucherraum abgetrennt war, und ich nahm den Telefonhörer, um mit ihm zu reden. Ich fühlte nichts, als ich ihn ansah.
Gerade einmal fünf Jahre zuvor war ich noch zur Schule gegangen, hatte von der großen Liebe geträumt und mir nicht vorstellen können, was ein Mann wie er mir antun mochte. Aber jetzt kam es mir vor, als sei der Nebel vor meinen Augen verschwunden. Sergej war viel schlimmer, als ich das je hatte erkennen wollen. Jahrelang hatte er mich bestohlen – alles hatte er mir weggenommen, von guten Kleidern und einer Uhr bis hin zu Paschas Babykleidung, als ich mit ihm im Krankenhaus lag. Ich war blind gewesen, wie ein Kind, das an den Weihnachtsmann glaubt, und jetzt wurde ich schnell erwachsen. Ich war zwanzig und Mutter von drei Kindern, um die ich mich kümmern musste.
»Gibt es etwas, was du mir sagen willst?«, fragte Sergej und starrte mich durch die Glasscheibe an.
»Nein. Was willst du denn hören?«
Er beugte sich vor und hielt sich den Telefonhörer dichter an den Mund. »Ich weiß, was du getan hast. Du hast der Polizei erzählt, dass ich in der Nacht nicht zu Hause war. Deinetwegen bin ich hier drin.«
»Das ist doch lächerlich«, sagte ich und bemühte mich um eine feste Stimme, während mein Herz raste. »Wer hat dir denn so was erzählt?«
»Jetzt tu bloß nicht so!«, fauchte Sergej. »Ich weiß genau, was passiert ist, und eines verspreche ich dir – wenn ich hier rauskomme, werde ich dich finden, und dann stirbst du.«
Ich sagte nichts, sondern stand auf und ging. Sieben Jahre waren eine lange Zeit, aber würde ich es schaffen, schnell genug zu laufen und mich in Sicherheit zu bringen?
Als ich das Gefängnis verließ, betete ich, dass ich Sergej nie wiedersehen würde.
KAPITEL 9
E ine Welle von Übelkeit brannte mir in der Kehle, als der Geruch von verwesendem Fleisch die Luft erfüllte. Er war zum Greifen dick, wie Sirup, der sich in meine Lungen wand, und ich hätte mich am liebsten übergeben.
»Binde dir den Schal ums Gesicht«, sagte Klawa, als sie zu mir hersah. »Das hilft.«
Ich bedeckte mir den Mund und starrte nach unten. Ich sah altes Fleisch, verrottendes Gemüse, zerbrochenes Spielzeug, Kartons, Flaschen, Papiertaschentücher, blutige Stofffetzen – all die Sachen, die die Leute in ihre Mülleimer werfen, ohne darüber nachzudenken, dass es andere gibt, die davon noch etwas gebrauchen können. Ich zog mir den Schal enger ums Gesicht. Ich kriegte kaum Luft.
»Komm schon«, sagte Klawa. »Lass uns anfangen. Wenn du nicht suchst, kannst du auch nichts finden.«
»Aber ich habe keine Handschuhe.«
Sie
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