Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sie haben sich aber gut gehalten!

Sie haben sich aber gut gehalten!

Titel: Sie haben sich aber gut gehalten! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilli Beck
Vom Netzwerk:
dass Gäste sich zuerst bedienen dürfen.
    Juliane nutzt die Gelegenheit, um zu glänzen. Sie greift nach der Schüssel und reicht sie an John weiter. «Hoffentlich glauben Sie nicht, wir wären eine Horde Wilder», entschuldigt sie sich für ihre Brüder.
    Doch John scheint sich nicht an den Ungezogenheiten meiner Brut zu stören. «Kein Gedanke», wehrt er ab und lacht, als würde er sich bestens amüsieren.
    Während sich alle reihum bedienen und mit sichtlichem Appetit zu essen beginnen, bete ich im Stillen, dass sich jetzt keiner mehr danebenbenimmt. Was soll John denn sonst von mir und meiner Familie denken?
    «Hast du keinen Hunger?», erkundigt sich Lotte.
    Ertappt blicke ich auf meinen Teller. Ich habe tatsächlich noch nichts angerührt.
    «Alles in Ordnung?», fragt jetzt auch John. Er klingt besorgt.
    «Ja, ja», versichere ich lächelnd. «Alles bestens. Ich habe nur überlegt … Na ja, wann an unserem Esstisch das letzte Mal alle Stühle besetzt waren.»
    «Darauf trinken wir!» Lotte hebt ihr Glas und blickt stolz in die Runde wie eine italienische Matriarchin. «Auf die wiedervereinte Familie.»
    John, der mir gegenübersitzt, sieht mir tief in die Augen. Eilig verdränge ich meine Ängste. Die Stimmung ist gelöst. Das Essen scheint zu schmecken. Und die Kinder benehmen sich.
    Gläser klingen, wir trinken einen Schluck, und ich lasse mich beim Anstoßen von der feierlichen Atmosphäre davontragen. Mag sein, dass es an dem positiven Energiefeld liegt, von dem Lotte geschwärmt hat.
    Keine Minute später stichelt Juliane mit boshaftem Grinsen: «Ja, genießen wir die Idylle, solange der Praktikant uns noch mit seiner Anwesenheit beglückt.»
    «Blöde Pute!», zischt er wütend zurück. «Falls du auf mein Verschwinden spekulierst, vergiss es. In nächster Zeit wird nämlich meine fachmännische Unterstützung bei der Renovierung benötigt.»
    Juliane lacht abfällig auf. «Angeber! Du bildest dir wohl ein, du wärst unersetzlich. Typischer Fall von doppel-doof. Aber du glaubst ja auch, Handwerker wären was Besseres.»
    Auf das positive Energiefeld ist also auch kein Verlass. Oder hat Lotte bereits alle Kraft absorbiert?
    «Können wir bitte das Thema wechseln», versuche ich den Frieden wiederherzustellen und gebe John eine halbherzige Erklärung: «Die Kinder haben sich lange nicht gesehen. Offensichtlich müssen sie sich erst wieder zusammenraufen.»
    John ist zum Glück damit beschäftigt, Lotte und den anderen Wein nachzuschenken – was eigentlich die Aufgabe meines Vaters wäre. Aber dessen Laune bessert sich heute offensichtlich nicht mehr. Wie er ständig den Mund verzieht, ist nicht zu übersehen.
    Meine Bitte um ein anderes Gesprächsthema verhallt ungehört, denn nun mischt sich Charlie in den Disput ein.
    «Das ist doch alles kompletter Schwachsinn», knallt er seinen Geschwistern an den Kopf. «Sobald ein Kind unterwegs ist, ändern sich die Prioritäten. Egal ob du Akademiker oder Schreiner bist, Windeln kosten für jedermann gleich viel.»
    Für meinen Vater ist diese fundamentale These lediglich ein Grund, sein Glas zu ergreifen. Immerhin wird er Urgroßvater und Lotte Urgroßmutter, und das will begossen sein.
    Umständlich erhebt er sich von seinem Stuhl. Mit gewichtiger Miene gibt er den Toast vor: «Auf das Baby!»
    «Auf das Baby», erschallt es im Chor, und nun endlich sehe ich gelöste Gesichter um mich herum.
    Nachdem alle auf das Wohl des Ungeborenen getrunken haben, erkundigt sich John bei Charlie: «Wisst ihr denn schon, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird?»
    Charlie schüttelt den Kopf. «Wir wollen uns überraschen lassen.»
    «Man muss sowieso nehmen, was rauskommt», witzelt Fabian.
    «Genau», stimmt Juliane lachend zu. «Umtauschen is ja eh nich.»
    «Juliane!», rüge ich sie.
    Aber sie räuspert sich nur kurz, fährt sich durchs Haar und grinst mich frech an. «Wolltest du uns nicht von deinen Plänen berichten, Mama?»
    Alle Augen blicken nun gespannt auf mich. Um Zeit zu gewinnen, greife ich zu meinem Glas und nehme einen weiteren Schluck Wein. «Nun ja, eigentlich ist es noch nicht spruchreif», behaupte ich. «Nur so viel: Ich würde mir gerne einen Job suchen. Mal sehen, ob ich etwas Geeignetes finde. Im Moment bietet der Arbeitsmarkt nicht gerade freie Auswahl für Frauen in meinem Alter.»
    «Ach, da würde ich mir keine Sorgen machen», mischt sich John ein und legt seine Hand auf meinen Arm. «Du hast dich hervorragend gehalten! Ich bin überzeugt,

Weitere Kostenlose Bücher