Sie haben sich aber gut gehalten!
sprechen.
«Ähm … ja, so ähnlich», stottere ich.
«Wir haben uns gerade ein göttliches Objekt angesehen.» Aufgeregt klimpert sie mit den künstlichen Wimpern. «Ein Panoramablick über die ganze Stadt. Und bei diesem herrlichen Wetter heute bis zu den Alpen. Wirklich himmlisch. Ein richtiges Liebesnest, nicht wahr, John?»
Liebesnest!? Noch deutlicher hätte sie mir ihr Verhältnis zu John nicht unter die Nase reiben können.
«Herrliches Wetter, so, so! Hier drinnen ist es aber ziemlich dunkel», antworte ich frostig und suche Johns Blick. Wieso sagt er nichts? Er muss doch spüren, dass ich auf seine Erklärung warte.
John vergräbt nur stumm die Hände in seinen Hosentaschen und zieht die Schultern hoch, als müsse er sich gegen Schläge schützen. Offensichtlich fühlt er sich unwohl. Ein weiteres Indiz für sein schlechtes Gewissen. Würde er sich hier aus beruflichen Gründen mit dieser Melonenbrust-Blondine treffen, müsste er sich nicht so seltsam benehmen.
Tja, das ist eben typisch Mann! Selbst wenn man sie in flagranti erwischt, spielen sie noch die Unschuldigen. Fehlt nur noch der blöde Spruch:
Es ist nicht so, wie es aussieht!
Doch wenn er glaubt, ich verabschiede mich gleich wieder ohne eine Erklärung, hat er sich geschnitten.
Als wären John und ich gute alte Freunde, frage ich im Plauderton: «Wie geht’s denn Carolin?», und beobachte Kitty gespannt aus den Augenwinkeln.
Der gefriert das Lächeln auf dem rosaschimmernden Silikonmund. Anders ausgedrückt: Sie ist eifersüchtig!
Das bestätigt meine schlimmste Vermutung.
John zuckt bei meiner Frage fast unmerklich zusammen. «Wir sind eigentlich gerade im Aufbruch, aber wenn du dich einen Moment zu uns setzen …», stammelt er ausweichend.
Du meinst wohl «verlustieren gehen», würde ich ihn gerne anschreien.
«Bemüh dich nicht», unterbreche ich ihn mit fast versagender Stimme. «Meine Familie wartet auf mich.» Halb im Weggehen wünsche ich noch einen schönen Sonntag.
John hat also eine andere. Ach was, eine. Er hat zwei, oder drei, oder eine für jeden Tag. Wer weiß das schon genau. Wahrscheinlich nicht mal er selbst. So verdattert, wie er gestern bei Carolins Auftauchen war, hat er keinen Überblick über seine Amouren. Ich schätze, der Mistkerl hat auch gelogen, als ich ihn nach Kindern gefragt habe. Dass Carolin keine von ihm wollte, sagt noch lange nichts, wenn das überhaupt stimmt. Er gehört garantiert zu den Männern, die sich aus jeder Situation mit faustdicken Lügen rauswinden und an deren Tür eines Tages der halberwachsene Nachwuchs klopft.
John Ansbach, der Gigolo! Der ewige Junggeselle. Der skrupellose Verführer. Suse hat mich ja gewarnt. Aber ich romantisches Huhn bin wieder auf ihn hereingefallen. Habe mir eingebildet, von Amor noch eine Chance zu bekommen. Dabei war ich für John nichts weiter als eine neue Kerbe in seinem nicht existenten Bettpfosten. Ich könnte mich ohrfeigen. Doch was würde das ändern?
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22
N iemals hätte ich geglaubt, dass der abgedroschene Begriff «ein Häufchen Elend» eines Tages auf mich zutreffen würde. Nicht mal während der Trennungsphase von Volker habe ich so viel geweint. Jedenfalls nicht an einem Stück. Seit Tagen wage ich mich nur noch mit Sonnenbrille aus dem Zimmer. Der letzte Blick in den Spiegel war ein Schock. Meine Augen haben sich in zwei rote, zugeschwollene Schlitze verwandelt. Meine Haut ist mit roten Flecken übersät. Niemand aus der Familie zweifelt an meiner Erklärung, dass mich zugleich eine Pollenallergie, tränende Augen und eine Bindehautentzündung plagen.
In dieser bedauernswerten Verfassung liege ich im abgedunkelten Schlafzimmer und leide. Mit starrem Blick fixiere ich mein Handy auf dem Nachttisch. Nein, ich werde es nicht einschalten, egal wie oft Lotte mich dazu drängt. Wenn John mir etwas zu sagen hat, muss er persönlich antreten. Aber solange ich dem gemeinen Mistkerl keinen Erklärungsbesuch wert bin, was das Mindeste wäre, wird es auch kein Telefongespräch geben.
Allein der Gedanke an die peinliche Situation im Restaurant lässt mich erneut losheulen. Es ist ein schmerzhaftes Schluchzen, das meinen ganzen Körper schüttelt und mich mein Gesicht in die nassgeweinten Kissen pressen lässt. Wie konnte ich nur zum zweiten Mal auf ihn hereinfallen? Während er mir unsterbliche Liebe vorgaukelt, platzt seine Ex dazwischen, und kaum vierundzwanzig Stunden später vergnügt er sich mit einer Kunstblondine,
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