Sie haben sich aber gut gehalten!
natürlich unweigerlich mehr Unordnung. Aber der Klamottenberg auf dem Bett und die herumliegenden Schuhe zeugen eindeutig von einem Probiermarathon. Mit Platzmangel hat das nichts zu tun. Und wie ich aus der leisen Hintergrundmusik schließe, hat sie die Absicht, noch länger rumzutrödeln. Sobald sie nämlich ihren heißgeliebten Bob Dylan auflegt, vergisst sie die Zeit.
«Ich weiß», gesteht sie schulterzuckend, und zupft den Spitzenbesatz am Dekolleté zurecht. «Tut mir auch wirklich leid. Aber plötzlich habe ich mir nicht mehr gefallen. Es dauert also noch ein winziges Sekündchen.»
Ich versuche sie erneut anzutreiben.
Doch ohne Hast dreht sich Lotte vom Spiegel weg, nimmt ein Kleid vom Klamottenberg auf dem Bett und hält es sich vor den Körper. Das wiederholt sie mit diversen Oberteilen, Hosen und Röcken, die sie aber alle unentschlossen wieder zurückwirft. Unzufrieden stemmt sie dann die Arme in die Hüften. «Es ist zum Verrücktwerden, irgendwie finde ich mich heute nicht schön.»
«Liegt es vielleicht daran, dass du noch im Hemdchen rumturnst?», frage ich und versuche ihr einen Tipp zu geben. «Wie wär’s, wenn du die schwarze Hose anziehst? Ich finde, die steht dir sehr gut.»
«Das hat eher etwas mit meiner Ausstrahlung und nichts mit den Klamotten zu tun», klärt sie mich auf. «Wenn man sich selbst nicht gefällt, strahlt man auch keine positiven Signale aus. Eine ungeheuer wichtige Voraussetzung für einen gelungenen Abend. Verstehst du?»
«Nicht genau», antworte ich.
«Aus dem Esoterisch in Normalsprache übersetzt heißt das: Liebe dich selbst, dann bist du die Ballkönigin!», erklärt Lotte und lässt sich auf den Klamottenberg fallen.
«Und, wird das heute noch was, Ballkönigin, oder brauchst du noch ein Schönheitsnickerchen?», frage ich ungeduldig.
Es dauert weitere fünfzehn Minuten, bis sie sich tatsächlich für die schwarzen weiten Männerhosen entscheidet. Dazu schlüpft sie in ein Hemd mit schwarz-weißem Zebramuster, und als Farbklecks wählt sie die rosa Stiefel. Die wiederum passen gut zur Haarfarbe, meint sie.
Nachdem sie eine klobige Männeruhr und reichlich Silberringe angelegt hat, stemmt sie die Hände in die Hüften. «Gut so?»
«Mir wäre es zu viel Schmuck», wende ich vorsichtig ein. «Aber Hauptsache, du gefällst dir jetzt.»
«Stimmt!», antwortet sie, legt die Uhr wieder ab, schaltet den nervig-näselnden Mr.Dylan aus, und wir können endlich los.
«Hast du auch nichts vergessen?», frage ich beiläufig, wie man Kinder abfragt, ob sie auch alle Schulhefte eingepackt haben. Ich habe nämlich keine Lust, auf halber Strecke umkehren zu müssen.
Sie bleibt stehen, überlegt, schlägt sich dann mit der flachen Hand auf die Stirn, ruft «Stimmt!» und läuft zurück.
Wie ich an den Schritten höre aber nicht in ihr Zimmer, sondern ins Bad. Na, hoffentlich ändert sie jetzt nicht ihr gesamtes Make-up, stöhne ich und ärgere mich über mich selbst. Hätte ich doch nur meinen Mund gehalten. Doch nach kaum einer Minute erscheint sie wieder – frisch parfümiert.
«Danke, dass du mich erinnert hast», grinst sie. «Eine Frau sollte das Haus niemals ohne Duft verlassen.»
«Ich meinte eigentlich eine Handtasche oder so», antworte ich genervt. «Man hat doch immer ein paar Kleinigkeiten, die nicht in eine Hosentasche passen.»
«In Männerhosen schon.» Kichernd klopft sie mit beiden Händen auf die Hose. «Außerdem beabsichtige ich, bei deiner Freundin eine neue Tasche zu erstehen», verkündet sie, während sie aus dem Garderobenschrank eine weiße Jacke hervorholt. «Am Eröffnungstag muss die Kasse klingeln. Das bringt Glück.»
«Gegen diese esoterische Weisheit wird keine Geschäftsfrau etwas einzuwenden haben», bestätige ich nun doch versöhnt, hake mich bei ihr ein und ziehe sie mit.
Als wir endlich im Wagen sitzen und Richtung Innenstadt fahren, möchte Lotte wissen, was vergangenen Sonntag im Hotel eigentlich genau passiert sei.
Im ersten Impuls bin ich versucht, ihr mein Herz auszuschütten, doch dann entscheide ich mich dagegen. Ich muss den Tatsachen ins Augen sehen. Im Grunde war das Ganze doch nichts weiter als ein kurzer Flirt. Aus. Ende. Vorbei. Ich bin nicht die erste Frau, der das passiert. Frauen in meinem Alter ist eben keine späte Liebe vergönnt. Wozu also noch endlos darüber debattieren? Das macht mich nur melancholisch.
«Es war ein nettes Essen», sage ich und bemühe mich um einen leichten Plauderton. «Ich fand
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