Sie kamen bis Konstantinopel
gegeben, das leicht verderblich gewesen wäre – keinen Fisch, keine Innereien.
»Komm, ich bringe dich ins Bett und erzähle dir etwas.« Pelagia trug ihre Tochter ins Nebenzimmer. »Was willst du hören?«
»Die Geschichte von dem indischen König!«
Und so beschrieb Pelagia das mächtige Reich dieses Königs, der über zahllose Städte mit Tausenden von Einwohnern herrschte, schilderte die Tempel voll goldener Statuen, die heiligen Flüsse, die tapferen Armeen und die glitzernden Edelsteine, die seine Schatztruhen füllten. »Doch leider gab es in diesem wunderbaren Land viel Hader und Zank«, erzählte sie, »denn die Priester der verschiedenen Religionen bekämpften sich erbittert, wobei jeder behauptete, nur sein Glaube sei der einzig wahre. Und so ließ der König eines Tages die Blinden seiner Hauptstadt herbeischaffen und aus einem Tempel einen zahmen Elefanten bringen. Daraufhin gebot er den Blinden, ihm das Tier zu beschreiben. Alsbald betasteten sie es alle und der, welcher ein Bein umfasst hielt, behauptete: ›Der Elefant ist rau und mächtig wie ein Baumstamm.‹ Der jedoch, der seine Hand auf den Rüssel gelegt hatte, widersprach: ›Dummkopf, der Elefant ist lang und geschmeidig wie eine Riesenschlange!‹ Daraufhin schrie der, welcher das buschige Schwanzende gepackt hatte: ›Welch ein Unsinn! Der Elefant ist dünn und haarig, ich fühle es genau!‹ Und während sie noch weiterstritten, bemerkte der König zu den Priestern, die er ebenfalls herbeibefohlen hatte: ›Genau so blind und eigensinnig seid auch ihr. Gott in seiner Größe ist unfassbar für den menschlichen Geist. Jeder von euch besitzt ein Stückchen Wahrheit, aber keiner vermag den Allmächtigen wirklich zu schauen. Gehet nun hin in Frieden und streitet euch nie wieder.‹ Und so gingen die Priester beschämt aus dem Palast und hinfort gab es im Reich keinen Zank mehr um den rechten Glauben.«
Pelagia hielt kurz inne, als sie an ihren Vater dachte, der ihr einst diese Geschichte erzählt hatte, da begann das kleine Mädchen plötzlich zu weinen. »Mama, jetzt ist mir schlecht.«
Die eilig herbeigerufene Helena hielt ihr eine Schüssel hin, in die sich Fatima würgend erbrach. Doch auch danach hörten die Schmerzen nicht auf, aber immerhin wurde das Mädchen allmählich müde. Ihre Mutter erzählte ihr noch eine Geschichte, aber bereits vor dem Schluss fielen der entkräfteten Kleinen die Augen zu. Pelagia ging in ihr Zimmer, doch ohne Ruhe zu finden. Als sie hörte, dass Daud zurückkam, eilte sie zu ihm und bat um Einlass. Er saß an einem großen Tisch, auf dem Pergamentblätter ausgebreitet lagen – Listen und Landkarten, so schien es Pelagia, doch schob er alles schnell auf einen Stapel.
»Was hast du?«, fragte er. Seine Augen waren matt, der Ton gereizt.
»Fatima ist krank«, sagte Pelagia leise. »Ich mache mir Sorgen.« Sie schilderte die Beschwerden.
Daud sah sie verwundert an. »Sie hat sich gewiss den Magen verdorben. Pack sie warm ein, dann wird das schon wieder. Wenn nicht, solltest du morgen einen Arzt rufen.« Pelagia nickte, doch ohne innere Überzeugung. Einen Augenblick war sie versucht, zu ihm zu gehen und ihn zu umarmen, doch sie brachte es nicht über sich. Der zwischen ihnen aufgerissene Graben war zu einem Abgrund geworden.
***
Diese Nacht wurde sie mehrfach durch Fatimas Weinen aus dem Schlaf gerissen, deren Bauchweh trotz der warmen Tücher nicht aufhören wollte. Schließlich holte sie das Mädchen zu sich ins Bett und sprach mit sanfter Stimme auf sie ein, wenn wieder ein Krampf den Körper erschütterte. Völlig erschöpft fanden beide erst zum Morgen hin Schlaf. Helena brachte einen warmen Kräutersud, den die Kleine schluckweise trank, doch dann setzten die Krämpfe erneut ein, so dass Pelagia den Eunuchen nach einem Arzt schickte. Sergios kehrte mit einem weißhaarigen, rundlichen Ägypter namens Joseph zurück, der bedenklich den Kopf schüttelte, jedoch mit der Kleinen scherzte, bis sie Vertrauen zu ihm fasste und ihn ihren Bauch betasten ließ. Vorsichtig drückte er unterhalb des Nabels, dann fester, bis Fatima jäh einen gellenden Schrei ausstieß und panisch versuchte, sich seinen Händen zu entwinden. Pelagia wollte ihr Kind an sich reißen, doch mit einem Mal zog ein Lächeln über das kleine Gesicht. »Das Aua ist weg!«
Der Arzt, zuerst selbst über seinen schnellen Erfolg erstaunt, strich sich zufrieden über den Bauch. »Sie hatte wohl eine Verstopfung im Darm, die sich gelöst
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