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Sie kamen bis Konstantinopel

Sie kamen bis Konstantinopel

Titel: Sie kamen bis Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank S Becker
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zustanden, musste Daud bis zum Rand etwa zehn Reihen durchqueren, ohne auch nur einen einzigen zu wecken. Vorsichtig setzte er den rechten Fuß zwischen zwei Männer, machte mit angehaltenem Atem einen weiten Schritt, danach den nächsten, atmete erleichtert aus. Der übernächste Schlafende bewegte sich und stöhnte, als Daud ihn erreichte, doch war der Junge schnell an ihm vorbeigehuscht. Noch zwei Reihen, schon stand er am Rand und wollte loslaufen, als ihn eine Stimme zusammenzucken ließ.
    »Wohin willst du?«
    »Nur mal austreten …«
    Der Wächter bei der Fackel nickte, und Daud zwang sich, langsam zu der kleinen Lehmhütte, die als Abtritt diente, zu gehen und kurz darin zu verschwinden. Der Mann sah nicht in seine Richtung, als Daud einen Augenblick später aus der Türe trat, um die Ecke bog und in die Richtung lief, in der al-Ula liegen musste. Im Mondlicht folgte er den Spuren zahlloser Kamele, passierte verstaubte Tamariskenbäume und erreichte bald die nächste Felsengruppe.
    Da schien es ihm, als hörte er lautes Rufen aus der Richtung des Lagers. Aus den Augenwinkeln sah er das zitternde Licht ferner Fackeln, geriet in Panik und rannte in eine rechteckige Öffnung, die wie ein aufgesperrtes Riesenmaul in der Felswand gähnte. Doch innen bot sich keinerlei Versteck, keine weiterführende Höhle, keine Wandnische, nur große Steinbänke zogen sich an den drei Seiten unten die Wände entlang. Nach kurzem Zögern lief er zurück, wandte sich nach rechts und verschwand in einem engen, hohen Spalt, der sich wie mit einem Riesenmesser geschnitten zwischen den Steinen auftat. Nach einigen Dutzend Schritten stand er erneut im Freien, doch in der sandigen, mit vertrockneten Grasbüscheln übersäten Ebene waren keinerlei Karawanenspuren mehr zu erkennen. Verwirrt rannte er weiter, auf die nächste Felsengruppe zu. Hier reihte sich ein finsterer Eingang an den nächsten, im Vorbeirennen gewahrte er seltsame Schriftzeichen, aus Stein gehauene Urnen, Adler, groteske Gesichter, Schlangenköpfe und Ungeheuer mit Menschenköpfen und Löwenkörpern.
    Keuchend hielt er inne, um sich umzublicken. Von seinen Verfolgern war nichts zu erkennen, dafür rötete sich im Osten bereits der Himmel. Hinter diesem Felsen setzte sich die weite, sandige Fläche fort, auf der ihm nichts Schutz bieten würde. Besser, sich zu verstecken, bis die Karawane weiterzog. Seine Verfolger konnten nicht wissen, in welche Richtung er geflohen war, und in all die unzähligen Höhlen hineinzuleuchten, würde Tage dauern. Nach kurzem Überlegen entschied er sich für einen kleinen Eingang, der etwas abseits und versteckt lag.
    Wäre seine Nase nicht so verklebt gewesen, sein Geruchssinn hätte ihn warnen müssen. Doch so trat er in das schwarze Loch, blickte noch einmal zurück – und stolperte über einen kantigen Felsbrocken auf dem Boden der Höhle. Ein höllischer Schmerz durchfuhr sein Schienbein, der alles andere um ihn herum in rotem Nebel versinken ließ. Mit zischend eingezogenem Atem ließ sich Daud auf den Boden sinken und griff nach seinem Unterschenkel. Er spürte klebrige Nässe und feine Sandkörner auf seiner Haut, als seine Finger über die Wunde tasteten. Allah sei Dank schien der Knochen heil geblieben zu sein. Stöhnend saß er auf dem sandigen Boden, wiegte den Oberkörper hin und her und wartete, bis seine Sinne wieder klar wurden.
    Da hörte er ein Geräusch.
    »Ein Dschinn!«, durchfuhr es ihn. Seit er sich erinnern konnte, machten an nächtlichen Lagerfeuern, im Kreise flackernder Öllampen oder selbst tags hinter vorgehaltener Hand Erzählungen von Geistern die Runde. Tückische, von Allah verstoßene Wesen, begierig, die Menschen zu narren, sie zu versuchen, ihnen zu schaden. Unwillkürlich fasste Daud nach dem kleinen Ledersäckchen mit dem Koranvers, das er um den Hals trug. Durch den rechteckigen Eingang fiel der Schimmer des ersten Morgenlichts und ließ ihn längliche, in die Felswand gehauene Nischen erkennen. Am Ende der leeren Höhle öffnete sich ein düsterer, knapp mannshoher Spalt, aus dem jetzt wieder dieses seltsame Schnaufen und Scharren drang. Daud spürte die Gänsehaut auf seinen Armen, als ihm schlagartig bewusst wurde, mit was er tatsächlich sein Versteck teilte: Mit etwas, das tödlicher war als jeder Dschinn, etwas, gegen das Koranverse nichts ausrichten würden. Hastig rappelte er sich auf und wollte zum Ausgang schleichen, als sich ein dunkler Umriss vor das Rechteck schob: Ein Kopf mit

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