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Sie kamen bis Konstantinopel

Sie kamen bis Konstantinopel

Titel: Sie kamen bis Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank S Becker
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errichten lassen. All das war ihr vertraut, all das würde sie für eine ungewisse Zukunft aufgeben.
    Am Abend vor ihrer Abreise ließ ihre Mutter sie zu sich rufen. Die schlanke Frau in den Vierzigern trug eine rote Stola über der Schulter, ihr braunes Haar war mit Haarnadeln aufgesteckt und die großen, grünen Augen lächelten, als ihre Tochter den Raum betrat. Die beiden unterhielten sich angeregt über allerlei Nachbarschaftsklatsch, dann ging die Mutter zu einem Schrank und kam mit einem kleinen Elfenbeinkästchen zurück.
    »Ich würde dir zum Abschied gerne eine Goldkette schenken. Eine, die glänzt und alle Blicke auf sich zieht«, sagte sie betrübt, »aber leider kann ich das nicht mehr …«
    »Wenn ich erst einen mächtigen Mann am Hof geheiratet habe«, unterbrach sie Pelagia heftig, »kaufe ich dir viel schönere Geschmeide!«
    »Geh bei deiner Wahl nicht nur danach, wie viele Solidi er in seinen Truhen hat«, entgegnete ihre Mutter mahnend. »Achte darauf, was für ein Mensch er ist. Reichtum ist vergänglich. Und wie ich dir schon immer gesagt habe: Wirf vor allem dein kostbarstes Gut, die Jungfernschaft, nicht leichtfertig weg!«
    Sie entnahm dem Kästchen eine Kette mit blauen Glasperlen, in deren Mitte ein runder Zylinder hing, dazu ein Stück Bienenwachs, das sie einen Augenblick in der Hand wärmte, bevor sie zu einem Tischchen trat und es dort flachdrückte. Unter den aufmerksamen Blicken ihrer Tochter rollte sie den Zylinder auf dem weichen Wachs ab und hielt Pelagia das Ergebnis hin.
    »Ein Löwe, der einen Stier reißt«, staunte ihre Tochter. »Was bedeuten diese seltsamen Zeichen?«
    »Das weiß heute niemand mehr. Vor vier Jahrhunderten, so hat es mir meine Mutter erzählt, hat einmal einer meiner Vorfahren dieses Rollsiegel der Frau geschenkt, die er liebte. Das soll in Babylon gewesen sein.« Sie reichte Pelagia die Kette. »Seitdem bekommt sie immer die älteste Tochter unserer Familie. Sie ist von keinem besonderen Wert, aber sie soll Glück bringen, wenn man das Siegel zwischen Daumen und Zeigefinger reibt. Du bist unser einziges Kind – möge sie auch dich auf dem Weg in dein neues Leben beschützen.«
    »Danke!« Pelagia hatte Tränen in den Augen, als sie ihre Mutter in die Arme nahm. Dann legte sie sich die Kette um den Hals.
    Am nächsten Morgen bestieg sie das Segelschiff, das sie nach Italien bringen sollte.
    ***
    Unter dem rhythmischen Klatschen der Ruder mühte sich die Galeere den Tiber hinauf. Leicht fröstelnd, in einen wollenen Umhang gehüllt, stand Pelagia am Bug und spähte nach vorne, wo sich die Umrisse der Ewigen Stadt aus dem Morgennebel hoben. Es war Juni, doch gestern Nacht hatte ein heftiges Gewitter getobt und die Luft deutlich abgekühlt. Mit Gottes Hilfe war die Überfahrt glatt verlaufen, ohne Stürme oder sarazenische Piraten. In Portus, dem verfallenen Meerhafen, hatte sie das Boot des Exarchen in Empfang genommen, so dass sie nicht auf die Dienste der Fuhrleute angewiesen waren, die sich schreiend und winkend am Ufer drängten.
    Jetzt erblickte Pelagia die turmhohen Mauern, die sich zu beiden Seiten an den Fluss heranschoben, dann fuhren sie unter der ersten Brücke hindurch. In der Mitte des Stromes lag eine Schiffsmühle vertäut, die an ein großes Holzhaus erinnerte, an dessen Seiten Räder ins Wasser platschten.
    Vor der zweiten Brücke legte das Schiff an. Die Gesandtschaft schritt würdevoll an Land, wo sie schon von Sänften erwartet wurde. Pelagia fand sich plötzlich einsam am Ufer, nur von zwei in Portus angeheuerten Dienern begleitet, die ihr Gepäck geschultert hatten und sie fragend anglotzten.
    »Wohin jetzt?«
    »Zum Palast der Anicii. Ihr wisst, wo das ist?«
    Stummes Kopfschütteln war die Antwort. Einer der Träger setzte sein Bündel wieder ab, um eine brummende Schmeißfliege zu verscheuchen, während ein Bettler erwartungsfroh heranhinkte.
    In diesem Augenblick trat ein lockiger, zierlich gebauter Mann zu ihnen.
    »Kann ich Euch behilflich sein?«, fragte er in der verdorbenen Volkssprache, die dem Latein der Lehrbücher nur entfernt ähnelte.
    Pelagia bedankte sich und erklärte, dass sie zu dem Haus eines entfernten Verwandten wolle. »Ich glaube, es liegt irgendwo bei einem Hügel namens Caelius«, fügte sie vage hinzu und zog ein Stück Papyrus heraus.
    »Für eine vornehme junge Dame zu weit, um zu laufen«, entschied der Mann in einer Mischung aus Selbstbewusstsein und Diensteifer, während er den Bettler wegscheuchte.

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