Sie kamen bis Konstantinopel
grasbewachsenen Dach eines Grabtempels, den sie mit Ursos Hilfe erklommen hatten. Der junge Mann war bereits weitergezogen, um die Dienste seiner Leiter – selbstverständlich gegen einige Kupfermünzen – auch anderen Wagemutigen anzubieten, die das große Ereignis von einem der verfallenen Grabmonumente zu beiden Seiten der Straße beobachten wollten. Den Vorschlag, gemeinsam den Festzug anzusehen, hatte Pelagia gemacht, und sie war ebenso überrascht wie erfreut gewesen, als Patricius zugestimmt hatte.
»Da vorne, sieh!« Die Stimme des Priesters riss sie aus ihren Gedanken. Eine halbe Meile südlich schwebten Standarten über der Straße, blinkten Helme in der Sonne, waren Reiter in glänzenden Rüstungen auszumachen. Langsam kroch ein Heerwurm heran, an dessen Spitze ein bärtiger Mann ritt. Er trug einen vergoldeten, runden Helm mit einem Kreuz, über dem bunte Federn wippten; seinen massigen Körper verhüllte ein in Falten gelegtes Gewand aus golddurchwirktem Brokat. Doch am auffälligsten war sein Gesicht, das die Beobachter erst erkennen konnten, als er die wartenden Würdenträger erreichte: Kantige, herrische Züge, leicht hervortretende Augen und eine wulstige Nase. Besonders ins Auge fiel der ausladende Schnurrbart, dessen Spitzen zu beiden Seiten über die Wangen ragten. Der Mund darunter wirkte hart, ein schmaler Strich, der kaum mehr als spöttische Verachtung für das ganze Treiben auszudrücken schien. Ein langer Vollbart wallte bis zur Brust und bewegte sich leicht, als der Kaiser sein Pferd zum Stehen brachte.
Papst Vitalianus trat aus dem Kreis der Kleriker, die Kreuze, Fahnen und brennende Kerzen emporhielten. Er kniete nieder, während die umstehenden Würdenträger in laute Rufe »Heil dir, Imperator und Beschützer der Stadt!« ausbrachen. Der Kaiser runzelte die Stirn, bis ihm ein Begleiter übersetzte, dann ließ er sich zu einem huldvollen Lächeln herab, bedeutete dem Papst, sich zu erheben und ließ ihm ein golddurchwirktes Gewand überreichen. Dazu sagte er einige Worte, die Pelagia auf die Entfernung nicht verstehen konnte.
»Er spricht nur Griechisch, kein Latein!«, flüsterte Patricius ihr zu, »was nicht immer von Nachteil sein muss.«
Was er mit dieser seltsamen Bemerkung meinte, wurde Pelagia klar, als der Herrscher in Begleitung der Sänften des Papstes, des Exarchen und der Honoratioren der Stadt langsam die Via Appia entlangritt. Sie hatten Urso mit seiner Leiter herangewunken, und Patricius war es gelungen, sie mit dreister Selbstverständlichkeit in den Zug zu drängen, so dass es schien, als gehörten sie zum Gefolge. Zwar erschallten vereinzelte Hochrufe aus den Reihen der Zuschauer, doch meist herrschte nur ein grimmiges Schweigen, das gelegentlich sogar von halblauten Ausrufen wie »Mörder von Papst Martin!« unterbrochen wurde. Doch blieb es bei diesen Bemerkungen, die nicht für die Ohren der Soldaten bestimmt waren, die mit ihren Kettenpanzern wie eine silberne Schlange den Zug beschlossen. Nach drei Stunden hatten sie die Stadt erreicht, die Caracallathermen passiert, waren am Circus Maximus in Richtung des Kolosseums abgebogen und zogen jetzt durch den Titusbogen in Richtung Forum. Immer wieder ließ der Kaiser halten, sah sich um, wies auf das eine oder andere Monument und hörte sich die Erklärungen eines Begleiters an. Bei der Phokassäule gab es eine erregte Diskussion, der Kaiser zeigte auf die vergoldete Bronzefigur und schien Befehle zu erteilen, bevor es weiterging.
»Er lässt die Statue herunterholen!« Die Neuigkeit machte unter den Zuschauern rasch die Runde. Einige nickten verständnisvoll, war doch Phokas, ein grausamer Tyrann, von Herakleios, dem Großvater des Kaisers gestürzt worden, um das Reich zu retten. Doch andere sahen darin ein schlechtes Omen, denn Phokas war zugleich ein Freund Roms gewesen, und schüttelten den Kopf, als der Kaiser weiterzog, um der Messe in der Peterskirche beizuwohnen.
Auch Pelagia und Patricius standen ganz vorne in der Menschenmenge, die sich in der großen Basilika drängte. Als der Gottesdienst begann, Weihrauchschwaden und Chorgesang den Raum erfüllten, Leuchter mit flackernden Kerzen hereingetragen wurden und der Papst zu dem erhöhten, durch gedrehte Säulen abgetrennten Altarbereich schritt, verspürte Pelagia zum ersten Mal seit ihrer Jugend wieder das Gefühl, etwas Großartigem, Unbegreiflichem beizuwohnen. Ihre Augen wanderten empor zu dem Mosaik in der halbrunden Apsis, das den siegreichen
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