Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)
ist, wie ich die Axt zurückbekomme, um diesen Wichser damit zu überzeugen, dass ich nicht irre bin. Überzeugungsarbeit mit der Axt würde wohl eher das Gegenteil beweisen, aber ich bin zu wütend und zu verwirrt, um mich darum zu kümmern.
Eine Tür schwingt auf. Anhand des Klangs der Angeln und der Summe der umgebenden Geräusche beschleicht mich eine Ahnung, wo wir uns befinden: in der Sporthalle der Universität. Ich schließe es aus diesem Hall, der Art, wie alle Geräusche von der hohen Decke und dem Holzfußboden reflektiert werden, der Art, wie die Sohlen auf dem glatten Boden quietschen. Die Soldatenstiefel klacken rhythmisch, als sie uns durch die Halle schubsen. Wir gehen durch ein paar weitere Türen in einen kühlen, feuchten Flur und dann zwei kurze Treppen hinunter. Es fühlt sich an wie ein Keller. Klaustrophobisch und nach Moder riechend.
Sie nehmen uns die Augenbinden ab und lassen uns in zwei verschiedenen Räumen in der Dunkelheit zurück. Ich werde in ein kleines Büro mit einem Fenster gestoßen. Der rothaarige Soldat, der mir die Augenbinde abnimmt, lässt meine Hände gefesselt. Er riecht nach Feuerwerk und Scotch. Ein Tisch in der Ecke ist von einer dicken Staubschicht bedeckt und hat ein paar blanke Stellen. Abdrücke, wo wahrscheinlich ein Computer und eine Tastatur standen. Alles riecht durchgehend feucht, vermodert, als wäre der Keller einmal voll Wasser gelaufen und nie mehr ganz getrocknet. Wahrscheinlich war hier das Büro eines Trainers, aber sie lassen keinen Zweifel daran, dass es sich jetzt um eine Gefängniszelle handelt.
Sie bringen mir nichts zu essen. Ich kann nicht schlafen. Ich weiß nicht, ob ich hier je wieder rauskomme.
H E U T E
Jemand kam in aller Frühe nach mir sehen, bevor ich mich so recht erinnern konnte, wer ich bin und was ich tun sollte. Sie haben meine Waffe genommen und die Handtasche meiner Mutter, aber sie haben den kleinen blauen Zettel nicht. Ich fummele ihn, so vorsichtig ich kann, aus meiner Tasche und streiche mit den Fingern über die Schrift. Sie würde nicht aufgeben. Ich weiß es genau, sie würde nicht aufgeben.
In den letzten ein, zwei Stunden bin ich zwischen träumen und halbwach hin und her gewechselt. So erschöpft und verängstigt, wie ich mich fühle, habe ich mich nicht erholt, aber mein Gehirn hat aufgehört, aktiv Fluchtpläne zu ersinnen. Als der Schlüssel sich im Schloss bewegt und ich das Klicken höre, erwarte ich den rothaarigen Soldaten mit dem lustigen Bart und dem breiten schiefen Grinsen wieder. Aber er ist es nicht. Es ist jemand ganz anderes.
»Hallo, da drin.«
Schnell lasse ich den Zettel in der Faust verschwinden und blicke zu ihm hoch, die Knie fest an die Brust gezogen. Die Plastikfessel um meine Handgelenke schmerzt wie Hölle, und ich spüre, dass die Haut schon roh und blasig ist. Der Schmerz ist flüchtig, denn ich kenne diese Person, irgendwie kenne ich sie. Der Soldat wirkt nicht bedrohlich. Einschüchternd vielleicht, aber nicht bedrohlich. Obwohl auch er ein riesiges Scheiß-Sturmgewehr trägt, wirkt er nicht besonders aggressiv. Er ist ebenfalls in einen schwarzen Militäroverall gekleidet, allerdings kommt es mir vor, als hätte er ihn vorne zu hastig geknöpft, denn er sitzt ein bisschen schief. Ich blicke auf seinen rechten Ärmel und finde das Abzeichen mit der Krone und dem Vogel auch dort.
»Ich bin Collin, Collin Crane«, sagt er und fügt nach einer Pause hinzu: »Ich weiß, dass Sie sprechen können. Finn sagt, Sie haben eine flinke, stachelige Zunge. Seien Sie nicht dumm«, fügt er weich hinzu und geht in die Hocke. »Ich bin nicht hier, um Ihnen weh zu tun.«
Da trifft es mich.
Es war das Zeitalter der Weisheit, es war das Zeitalter der Dummheit …
»Sie sind es.«
»Wie bitte?«
»Die Stimme, Sie sind es! Der Mann aus dem Radio! Heilige Scheiße, ich kann es nicht glauben! Sie sind es.«
Da er jetzt auf meiner Augenhöhe hockt, kann ich sein Gesicht deutlich sehen. Er ist älter als die beiden anderen Krieger, wahrscheinlich Anfang fünfzig, mit dunklen, ganz kurz geschnittenen welligen Haaren, die an den Schläfen ergrauen, und einem Paar beeindruckender grüner Augen. Ich kann nicht umhin, mich zu fragen, wie sein Haar aussähe, wenn es etwas länger wäre, freier. Eine tiefe Furche prägt sein Kinn, seine Augenbrauen sind dunkel und sehr gerade. Die Augen lächeln in jenen Winkeln, die gefurcht sind von Alter und Erfahrung. Auch seine Lippen lächeln mich an.
»Sie haben mich
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