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Sie nennen es Leben

Titel: Sie nennen es Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Pilarczyk
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schwacher Bindungen) herausgearbeitet. Ihn interessierte vor allem, wie Informationen durch verschiedene Netzwerke fließen. Dabei stellte er fest, dass starke Bindungen eher hinderlich für den Informationsfluss sind. Verwandte und gute Freunde teilen meist unseren sozioökonomischen Hintergrund und bewegen sich in denselben Kreisen. Dadurch haben sie Zugang zu denselben Informationen wie wir und verbreiten in der Regel auch dieselben Informationen. So entsteht ein geschlossener Informationskreis, in den wenig Neues eindringt. An diesem Punkt kommt nun die Stärke der schwachen Bindungen zu tragen: » Die, mit denen wir nur schwach verbunden sind, neigen eher dazu, sich in anderen Kreisen als wir zu bewegen und deswegen Zugang zu anderen Informationen zu haben, als zu denen wir Zugang haben « , schreibt Granovetter.
    Menschen mit vielen schwachen Bindungen übernehmen deshalb eine wichtige soziale Funktion: Sie ermöglichen es, dass Informationen zwischen verschiedenen Netzwerken fließen und somit Impulse für Innovationen entstehen. » Solche Verbindungen schaffen Paradoxe « , resümiert Granovetter sein Modell der sozialen Bindungen. » Schwache Bindungen, oft als Indikator für Entfremdung abgewertet, werden hier als unverzichtbar für die Chancen einzelner Personen und ihrer soziale Integration erachtet. Starke Bindungen schaffen lokalen Zusammenhalt, führen aber insgesamt zu Spaltung. «
    Die Schwäche starker Bindungen
    Spaltung durch starke Bindungen: Genau dieser Effekt ist mittlerweile auch im Internet zu beobachten. Anfangs war das Internet noch von schwachen Bindungen geprägt. Zugang hatten vor allem Wissenschaftler und Technikexperten, die an Forschungsstellen in der ganzen Welt verteilt saßen. Zwischen ihnen ermöglichte das Internet tatsächlich eine neue Art des Informationsflusses. Cyber-Pioniere wie Sherry Turkle ( » Life On Screen « ) feierten es deshalb als unendlichen Raum für Identitätsspiele. Soziale und geografische Grenzen sollten im Internet keine Rolle mehr spielen.
    Diese Euphorie hielt aber nicht lange an. Mit der Verbreitung von schnellen und günstigen Breitbandanschlüssen ab 2000 entwickelte sich das Internet zum alltäglichen Medium, und die Zahl der User explodierte. Warum es einen Unterschied macht, wie viele Menschen online sind, lässt sich am besten am Beispiel einer Party erklären. Auf einer kleinen, überschaubaren Feier, auf der sich keiner kennt, fällt es vergleichsweise leicht, sich zu jemand Unbekanntem zu stellen und ein Gespräch zu beginnen. Auf einer größeren Party, zu der auch ein paar Bekannte gekommen sind, neigt man eher dazu, sich zu den Bekannten zu gesellen. Auf einer Massenveranstaltung, auf der auch viele Freunde sind, sucht man gezielt nach ihnen und freut sich auf vertrauensvolle Gespräche. Da es alle anderen ähnlich machen, bilden sich schnell Gruppen, und die Masse spaltet sich auf. Mit anderen Worten: Starke Bindungen kommen zum Tragen.
    Wer sich heutzutage privat im Internet bewegt, handelt meist nach genau diesem Muster. Man sucht nach seinen Freunden und tauscht sich mit ihnen aus. Wie auf der Party findet man sich in Gruppen zusammen und grenzt sich vom Rest ab. Damit ergibt sich der paradoxe Effekt, den Granovetter vor fast 40 Jahren vorhergesagt hat: Je mehr Kontaktchancen uns das Internet bietet, desto weniger nutzen wir davon. Gerade die Masse ermöglicht es uns, uns abzuschotten. So reproduzieren wir letztlich unser Offline-Leben online.
    Â» Soziale Grenzüberschreitungen finden im Internet kaum statt und somit stellen virtuelle Kommunikationsräume vielfach ›exklusive Gemeinschaften‹ dar « , ist denn auch das wenig utopische Fazit der Pädagogik-Professoren Nadia Kutscher und Hans-Uwe Otto zur sozialen Mobilität im Netz.
    Wie viel unser Online-Freundeskreis über unser Offline-Leben verrät, illustrieren verschiedene Studien. Als einfache Semesterarbeit entwickelten zwei Studenten des Massachusetts Institute of Technology (MIT) eine Software, mit der sich die sexuelle Orientierung eines Facebook-Users bestimmen lässt, auch wenn der online keine Angaben zu seinen Vorlieben macht. Dazu wertete die Software aus, wie viele Facebook-Freunde des Users selbst angeben, dass sie schwul sind. Da schwule Männer deutlich häufiger mit anderen schwulen Männern befreundet oder liiert sind, ließ sich durch eine einfache

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