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Sie sehen aber gar nicht gut aus!

Sie sehen aber gar nicht gut aus!

Titel: Sie sehen aber gar nicht gut aus! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Strzoda
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Bertram zu, der etwas größer war als ich und deutlich schwerer. Defensive Haltung, beide Arme in Abwehr, als wenn ich einem Aggressor gegenüberstünde. Ich blickte in Bertrams Augen. Meine Stimme hätte sich bestens für die nächste Ausgabe vom Wort zum Sonntag geeignet. Nur nicht zu laut werden oder gar aggressiv klingen, war meine Devise. Die folgenden Minuten würden zeigen, ob ich den Rapport, die Verbindung, zu Bertram herstellen konnte. Konnte ich Bertram umstimmen, würde er das Gebäude hoffentlich lebend verlassen. Wir würden dann erhobenen Hauptes an den ganzen Gaffern vorbeigehen und den Rettungswagen betreten. Dann würde ich Bertram in eine psychiatrische Klinik auf die Krisenstation bringen. Und ich wäre der Held dieser Geschichte, die das Leben geschrieben hatte. So war zumindest mein Plan.
    Ich musste Bertram nur noch davon überzeugen, dass der Sprung in die Tiefe zu diesem Zeitpunkt einer seiner größten Irrtümer wäre. Jetzt, da er am Tiefpunkt seines Lebens angekommen war und nicht noch weiter sinken konnte. Jetzt, da es doch nur noch aufwärtsgehen und besser werden konnte. Aber wie sollte ich das anstellen? Auf jeden Fall musste ich das Gespräch suchen.
    »Wie heißt du?«
    »Bertram.«
    »Und warum suchst du dir für heute keine andere Nachtmittagsbeschäftigung?«
    »Wohl ’nen Scherzkeks gefrühstückt heute ...«
    »Wenn der Lack in deiner Birne mal splittert, hilft ’ne Psychotherapie.«
    »Sicher. Psycho-Fuzzis gibt’s genug, die einem die Knete mit Gefasel aus der Tasche ziehen. Lass mich in Ruhe. Ich hab kein Geld für so einen Käse ... jetzt eh nicht mehr.« Klare Antwort.
    »Was meinst du damit?«, fragte ich.
    »Vorgestern habe ich meine Karre besoffen an so ein beschissenes Bushäuschen gefahren. Die Bullen haben mir meinen Lappen weggenommen.«
    »Verstehe.«
    »Gar nichts verstehst du. Nichts. Ich mach diesen Scheiß nicht mehr so lange mit, bis ich meine goldene Uhr bekomme.« Einen kurzen Moment hielt ich inne. Bertram blickte mich aus dem Augenwinkel an. »Ich tu dir jetzt leid, oder? Wieder so ein Freak, der seinem Leben ein Ende bereiten will. Aber du tust mir auch leid.«
    »Warum?«
    »Ständig solche Freaks wie ich. Ständig das ganze miese Elend. Nichts davon bleibt dir erspart.«
    »Niemand tut mir leid, der sein Leben einfach so in die Tonne treten will.«
    »Einfach so«, wiederholte Bertram und starrte ins Leere.
    Konfrontative Gesprächsführung war nicht jedermanns Sache. Hoffentlich hatte ich mich nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt. Meine Güte. Wie war das alles noch gleich? Paraphrasieren? Carl Rogers? Spiegeln? Alles vergessen. Alles, verdammt. Nur die Konfrontation nicht. Die Krisenintervention funktioniert leider nicht nach dem Wenn-dann-Schema. Man kann nicht einfach irgendetwas sagen, und jeder Patient reagiert dann identisch. Es gibt kein Schema F, kein Flussdiagramm oder einen Zaubersatz. Auch existiert kein bestimmter Tag, an dem Patienten so reagieren, und einen anderen, an dem das eben nicht so ist. Wenn es dem Retter in dieser Situation nicht gelingt, sich dem potenziellen Selbstmörder anzupassen, sieht es zappenduster aus.
    Mein Handy vibrierte hörbar. Vermutlich war es Lenny oder die Leitstelle, die einen Zwischenbericht haben wollte. Ich hob nicht ab.
    »Geh doch dran. Sind bestimmt deine Kollegen. Die wollen hören, ob du mich schon überzeugt hast.«
    »Und? Bleibst du?« Nur die Stadt und mein Herzschlag waren zu hören. Ich hatte Angst vor Bertrams Antwort.
    »Was würdest du tun, wenn deine Frau dir in den Arsch tritt und dich bescheißt? Mit ’nem anderen, dessen Kind sie dir noch anhängt. Und du zahlst und zahlst. Und was würdest du tun, wenn du deinen Job verlierst? Und du bist auch noch selbst schuld daran.« Bertram wurde wütend. »Dann dein Führerschein. Der ist jetzt weg – durch deine eigene Schuld. Und genau deswegen ist dein Job weg und deine Karre im Eimer. Du wurdest dein Leben lang verspottet und geschlagen.« Bertrams Schreien hallte über das Dach. »Und jetzt? Was jetzt? Hast du irgendwelche klugen Ratschläge auf Lager?«
    So hatte ich das nicht geplant. Eigentlich wäre jetzt der Zeitpunkt gekommen, um Bertram eine Zigarette anzubieten und so vielleicht eine Zigarettenlänge Zeit zu schinden. Schachtel aus der Brusttasche holen, einen Glimmstängel herausnehmen, anzünden und genussvoll daran ziehen. Dann den Qualm in die Luft blasen, den Rauch schmecken. Und anschließend hätte ich Bertram fragen

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