Sie sehen aber gar nicht gut aus!
viel Blut! Ist alles vorbereitet?«
»OP gebucht. Wir können los.«
»Blutdruck sinkt!«
»Halt die Infusion höher!«
»Drück drauf!«
»Schneller!«
»Noch schneller!«
»Hilf mir beim Reinheben!«
»Haltet euch fest!«
»Der Polizist soll im RTW mitfahren.«
»Wir brauchen jede Hand.«
»Kein messbarer Druck mehr ...«
Das Team war so schnell wie selten zuvor. In diesem Fall kam ihnen außerdem zugute, dass das Amtsgericht nur einen guten Kilometer vom Krankenhaus entfernt lag. Bereits um 16.25 Uhr jagte Lenny die Rampe zur Nothilfe hoch. Die Notärztin kritzelte unleserliche Werte auf ihr Einsatzprotokoll, während Lenny direkt vor dem Eingang der Nothilfe auf die Bremse trat. Mit einem Ruck kam der Rettungswagen zum Stehen. Theo flog dabei gegen den Medikamentenschrank, der Polizist konnte sich gerade noch festhalten.
Um 16.29 Uhr hetzte das Team durch die Nothilfe in Richtung des OP. Der Staatsanwalt hatte keinen Puls mehr.
Bei traumatologischen Einsätzen gibt es nur einen wesentlichen Grundsatz: so wenig Zeit wie möglich verlieren! Der Patient muss schnellstens auf dem OP-Tisch liegen. Je nach Munition und Eintrittswinkel treten bei Schussverletzungen große Schäden am Gewebe auf. Teilmantelgeschosse dehnen sich im Körper aus und verursachen lebensgefährliche Defekte. Der Patient hat besonders schlechte Chancen, wenn große Gefäße getroffen werden und er in kurzer Zeit Blutmassen in die Körperhöhle verliert. So war es vermutlich leider auch bei diesem Einsatz.
Vor Ort kann in solchen Fällen wenig ausgerichtet werden. Die oberste Priorität hat ein in Lichtgeschwindigkeit durchgeführter Notfalltransport in den Schockraum eines geeigneten Krankenhauses, in dem die erste Diagnostik durchgeführt wird. Aber in diesem Fall war es noch dringender. Lenny und Theo übersprangen daher den Schockraum, liefen direkt in den vorbereiteten OP-Saal und überließen den Staatsanwalt den erfahrenen Händen der Chirurgen. Ab diesem Zeitpunkt war der Einsatz der beiden beendet.
Im OP fanden vermutlich mehrere Diagnosen und Behandlungen gleichzeitig statt. Während ein Chirurgenteam den Bauch aufschnitt, führte ein zweites Team eine Thorakotomie durch, eine Brustkorböffnung, um starke Blutungen zu ermitteln und zu stoppen. Die Anästhesie kümmerte sich um das Atemwegsmanagement. Der Mann hatte bereits einen Beatmungsschlauch in der Luftröhre – er wurde kontrolliert beatmet. Optimalerweise wurden diverse Konserven Blut in Null-Negativ im Behandlungsraum bereitgehalten, die unmittelbar transfundiert wurden.
Einige Zeit später klingelte mein Handy, Lenny war am anderen Ende der Leitung. Er und Theo standen immer noch vor der Ambulanz. Aus dem Radio des Rettungswagens drangen Fetzen irgendwelcher Nachrichten eines Lokalsenders durch das Telefon an mein Ohr und erzählten mir das, was Lenny und Theo gerade live und hautnah erlebt hatten. Der Moderator wusste im Gegensatz zu Lenny noch nichts Genaues. Er berichtete von schweren Verletzungen und dem Täter, der noch vor Ort festgenommen worden war.
»Sie haben ihn gerade zugedeckt«, sagte Lenny, »eine OP-Schwester hat es mir erzählt.«
»Sie haben aufgehört?«, fragte ich.
»Die Blutungen waren zu stark. Keine Chance ...« Lenny kramte nach seinen Zigarillos.
Was letztendlich bei der Obduktion herauskam, weiß ich nicht. Es spielt aber auch keine Rolle. Aus meiner Sicht war alles optimal gelaufen. Meine Kollegen hatten ihr Bestes gegeben. Sie hätten nichts besser oder schneller machen können, als sie es getan hatten.
Der Faktor Zeit ist nach wie vor der schlimmste Angstgegner im Rettungsdienst. Im Fall des Staatsanwaltes hätte das Team bereits fahrbereit danebenstehen können und wäre trotzdem zu langsam gewesen. Sie konnten einfach nichts mehr ausrichten.
Kehrtwende
Folgende Geschichte spielte sich in einem Sommer vor etlichen Jahren ab, als noch keinerlei Handlungsalgorithmen für Verkehrsunfälle etabliert waren. Lenny und ich hatten an dem Tag keinen innerstädtischen Dienst auf dem RTW, sondern auf einem Krankenwagen. Wenn Rettungsassistenten, so wie wir es sind, Krankenwagen fahren, ist dies ein außerordentlich seltenes Ereignis. Um die Fachkraftquote zu erfüllen, muss der Betreiber eines Rettungsdienstes für gewöhnlich hier nur einen Rettungssanitäter einsetzen. Ein Rettungssanitäter durchläuft eine wesentlich kürzere Ausbildung als ein Rettungsassistent. Ein Krankenwagen wird im Gegensatz zu einem Rettungswagen vor
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