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Titel: Sie sehen dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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eigenen Probleme. Und offen gestanden, interessieren mich Ihre moralischen Versäumnisse nicht, Mrs Loriman.
Mich interessiert einzig und allein die Gesundheit Ihres Sohnes. Weiter nichts. Wenn die Zerstörung Ihrer Ehe zu seiner Heilung beiträgt, bin ich gerne bereit, Ihre Scheidungspapiere zu unterschreiben. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«
    »Das haben Sie.«
    Susan senkte den Blick. Sittsam. Ein Wort, das Ilene schon gehört, aber nie ganz verstanden hatte. Wie viele Männer würden bei dieser Geste schwach werden  – wie viele waren dabei schwach geworden?
    Sie durfte nicht persönlich werden. Ilene atmete tief durch und versuchte, ihre Gefühle und ihre eigene Situation für den Moment außer Acht zu lassen  – ihren Abscheu vor Ehebruch, ihre Angst vor der Zukunft ohne den Mann, den sie als ihren Lebenspartner auserwählt hatte, ihre Sorgen über die Praxis und die Fragen, die die FBI-Agenten ihr gestellt hatten.
    »Aber ich sehe wirklich keinen Grund dafür, dass er das erfahren muss«, sagte Ilene.
    Susan blickte auf, und ein winziger Hoffnungsschimmer zeigte sich in ihrem Gesicht.
    »Wir könnten den leiblichen Vater auch diskret ansprechen«, sagte Ilene. »Ihn bitten, einen Bluttest zu machen.«
    Die Hoffnung verflog. »Das geht nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Es geht einfach nicht.«
    »Also, Susan, das ist Ihre beste Chance.« Ihr Ton war jetzt spitz. »Ich möchte Ihnen helfen, aber ich bin nicht hier, um mir die wundervollen Geschichten über Dante, den gehörnten Ehemann, anzuhören. Die Strukturen und Triebkräfte, die Ihre Familie ausmachen, interessieren mich zwar, allerdings nur zu einem gewissen Grad. Ich bin die Ärztin Ihres Sohns, nicht Ihr Therapeut oder Ihr Pfarrer. Wenn Sie Verständnis oder Erlösung suchen, bin ich der falsche Ansprechpartner. Wer ist der Vater?«
    Susan schloss die Augen. »Sie verstehen das nicht.«

    »Wenn Sie mir den Namen nicht nennen, sag ich es Ihrem Mann.«
    Ilene hatte nicht geplant, das zu sagen, aber die Wut hatte sie gepackt und die Kontrolle übernommen.
    »Sie stellen Ihr unbedachtes Handeln über die Gesundheit Ihres Sohns. Das ist erbärmlich. Und ich werde das nicht zulassen.«
    »Bitte.«
    »Wer ist der Vater, Susan?«
    Susan Loriman blickte zur Seite und kaute auf ihrer Unterlippe.
    »Wer ist der Vater?«
    Schließlich antwortete sie: »Ich weiß es nicht.«
    Ilene Goldfarb blinzelte. Die Antwort lag wie ein Abgrund zwischen ihnen, und Ilene wusste nicht, wie sie ihn überwinden sollte. »Verstehe.«
    »Nein, das tun Sie nicht.«
    »Sie haben mehr als einen Liebhaber gehabt. Ich weiß, dass das peinlich ist. Aber dann bestellen wir sie halt alle ein.«
    »Ich hatte nicht mehr als einen Liebhaber. Ich hatte überhaupt keinen Liebhaber.«
    Ilene wartete und wusste nicht, wohin das führen sollte.
    »Ich wurde vergewaltigt.«

28
    Mike saß im Vernehmungsraum und versuchte, ruhig zu bleiben. Vor ihm an der Wand befand sich ein großer, rechteckiger Spiegel, von dem er annahm, dass er aus halbdurchsichtigem Glas war. Die anderen Wände waren in Schultoilettengrün gehalten. Der Fußboden war aus grauem Linoleum.
    Zwei Männer waren bei ihm im Raum. Einer saß in der Ecke, fast wie ein Kind, das etwas angestellt hatte. Er hatte den Kopf
gesenkt, hielt in einer Hand einen Stift und in der anderen ein Klemmbrett. Der andere  – einer der Agenten, die ihn vor dem Club Jaguar mit vorgehaltener Pistole und Marke festgenommen hatten  – war ein Schwarzer mit einem Diamantstecker im linken Ohr. Er ging mit einer nicht brennenden Zigarette in der Hand auf und ab.
    »Ich bin Special Agent Darryl LeCrue«, sagte der Schwarze. »Das ist Scott Duncan  – der Verbindungsbeamte zwischen der Drogenfahndung und der Bundesstaatsanwaltschaft. Hat man Ihnen Ihre Rechte vorgelesen?«
    »Ja.«
    LeCrue nickte. »Und Sie sind bereit, mit uns zu sprechen?«
    »Ja.«
    »Bitte unterschreiben Sie die Verzichtserklärung, die vor Ihnen auf dem Tisch liegt.«
    Mike unterschrieb. Normalerweise hätte er das nicht getan. Er wusste, dass man das nicht machte. Mo hatte Tia schon längst angerufen. Sie würde herkommen und ihn vertreten oder ihm einen Anwalt besorgen. Bis dahin sollte er eigentlich schweigen. Aber im Moment interessierte ihn das nicht.
    LeCrue ging weiter auf und ab. »Wissen Sie, worum es hier geht?«, fragte er.
    »Nein«, sagte Mike.
    »Überhaupt keine Idee?«
    »Nein.«
    »Was wollten Sie im Club Jaguar?«
    »Warum sind Sie mir gefolgt?«
    »Dr.

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