Sie sehen dich
sich eine angesteckt.«
»Aber warum versteckt sie sich?«
»Vielleicht will sie nicht in Anwesenheit von ach so leicht beeinflussbaren Jugendlichen rauchen«, sagte Yasmin mit einem sarkastischen Grinsen. »Oder sie will nicht, dass mein Dad was davon erfährt. Er kann Raucher nicht ausstehen.«
»Und, verpfeifst du sie?«
Yasmin zuckte lächelnd die Achseln. »Keine Ahnung. Alle anderen verpfeifen wir ja schließlich auch, oder?« Sie fing an in einer Handtasche herumzuwühlen. Jill schnappte kurz nach Luft.
»Ist das Beths?«
»Ja.«
»Das kannst du doch nicht machen.«
Yasmin verzog kurz das Gesicht und wühlte weiter.
Jill trat näher heran und sah hinein. »Hast du was gefunden?«
»Nee.« Yasmin ließ die Handtasche herabsinken. »Komm, ich zeig dir was.«
Sie legte die Handtasche auf den Küchentresen und ging die Treppe hoch. Jill folgte ihr. Im Bad oben an der Treppe war ein
Fenster. Yasmin sah kurz hinaus. Jill auch. Beth stand wirklich hinter dem Baum – von hier konnten sie sie deutlich sehen –, und sie saugte an der Zigarette, als hätte sie nach einigen Minuten unter Wasser endlich einen Luftschlauch gefunden. Sie zog tief und lange, schloss die Augen, und die Falten in ihrem Gesicht glätteten sich.
Yasmin ging wortlos weiter. Sie winkte Jill, dass sie ihr folgen sollte. Sie gingen ins Schlafzimmer ihres Vaters. Yasmin ging direkt zum Nachttisch und öffnete die Schublade.
Jill war nicht schockiert. Vielmehr war das eine ihrer Gemeinsamkeiten. Beide gingen den Dingen gern auf den Grund. Jill nahm an, dass das alle Jugendlichen bis zu einem gewissen Grad machten, aber zu Hause nannte ihr Dad sie oft Harriet, die kleine Detektivin. Sie schlich überall hin und tauchte immer dort auf, wo sie nicht hingehörte. Mit acht hatte Jill in einer Schublade alte Fotos von ihrer Mutter gefunden. Sie lagen ganz hinten unter einem Stapel alter Postkarten und Hüten ohne Krempe, die sie von einer Florenz-Reise in ihren Semesterferien mitgebracht hatte.
Ein Foto zeigte einen Jungen, der ungefähr in ihrem damaligen Alter, also acht oder neun Jahre alt war. Er stand neben einem vielleicht ein oder zwei Jahre jüngeren Mädchen. Jill erkannte in dem Mädchen sofort ihre Mutter. Sie drehte das Foto um. Jemand hatte in zierlichen Buchstaben »Tia und Davey« und eine Jahreszahl daraufgeschrieben.
Von einem Davey hatte sie noch nie etwas gehört. Aber sie lernte etwas daraus. Auch Eltern versuchten, Sachen geheim zu halten.
»Hier, guck mal«, sagte Yasmin.
Jill sah in die Schublade. Ganz oben lag eine Packung Kondome. »Ieeh, voll krass.«
»Glaubst du, er hat eins davon heut Nacht mit Beth benutzt?«
»Darüber will ich gar nicht nachdenken.«
»Was glaubst du, wie es mir geht. Er ist schließlich mein Vater.«
Yasmin schloss die Schublade und öffnete die darunter. Plötzlich flüsterte sie.
»Jill?«
»Was ist?«
»Guck dir das mal an.«
Yasmin schob ihre Hand an ein paar alten Pullovern, irgendeiner Metallschachtel und ein paar Socken vorbei, dann hielt sie an. Lächelnd zog sie etwas nach vorne.
Jill zuckte zurück. »Was will …?«
»Eine Pistole.«
»Ich weiß, dass das eine Pistole ist.«
»Die ist geladen.«
»Leg sie wieder hin. Unglaublich, dass dein Vater eine geladene Pistole in der Schublade hat.«
»Das haben viele Väter. Soll ich dir zeigen, wie man sie entsichert?«
»Nein.«
Aber Yasmin zeigte es ihr trotzdem. Beide sahen die Waffe ehrfürchtig an. Yasmin gab sie Jill. Zuerst hob Jill abwehrend die Hand und weigerte sich, sie anzufassen, aber irgendwie fand sie die Form und die Farbe dann doch faszinierend. Sie legte sie in die Handfläche. Sie staunte über das Gewicht, die Kühle und die Schlichtheit.
»Soll ich dir ein Geheimnis verraten?«, fragte Yasmin.
»Klar.«
»Du musst aber versprechen, dass du es niemandem weitersagst.«
»Natürlich sag ich es nicht weiter.«
»Als ich die zum ersten Mal entdeckt hab, hab ich mir vorgestellt, dass ich Mr Lewiston damit abknalle.«
Jill legte die Waffe behutsam weg.
»Ich hab es richtig vor mir gesehen. Ich geh mit der Pistole im Rucksack in die Klasse. Manchmal überleg ich dann, ob ich warten
soll, bis die Stunde vorbei ist, ihn erst erschieß, wenn keiner mehr da ist, dann die Fingerabdrücke von der Pistole abwische und abhau. Oder ich fahr zu ihm nach Hause – ich weiß, dass er drüben in West Orange wohnt –, das ist besser, weil mich niemand verdächtigt, wenn ich ihn da umbringe. Aber ich
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