Sie sehen dich
überleg auch, wie das wohl wäre, wenn ich ihn gleich im Klassenzimmer abknall, wenn die anderen auch da sind und das alle mitkriegen, und danach würd ich vielleicht noch auf sie zielen, aber dann denk ich, nee, das wäre zu sehr wie in Columbine, und ich bin ja kein Grufti-Psychopath oder so was.«
»Yasmin?«
»Ja.«
»Du machst mir ein bisschen Angst.«
Yasmin lächelte. »Ach, du weißt schon, das war nur so ein Gedanke. Völlig harmlos. Ich mach das nicht und auch sonst nix.«
Schweigen.
»Er wird dafür bezahlen«, sagte Jill. »Das weißt du doch, oder? Mr Lewiston, meine ich.«
»Ja, ich weiß«, sagte Yasmin.
Sie hörten ein Auto vorfahren. Mr Novak kam nach Hause. Ganz ruhig nahm Yasmin die Pistole, legte sie in die Schublade und schob alles wieder richtig hin. Sie ließ sich Zeit, hatte keine Eile, selbst als die Haustür geöffnet wurde und ihr Vater rief: »Yasmin? Mädchen? Wo seid ihr?«
Yasmin schloss die Schublade, lächelte und ging zur Tür.
»Wir kommen schon, Dad!«
Tia packte gar nicht erst.
Nachdem sie das Telefonat mit Mike beendet hatte, lief sie sofort nach unten in die Lobby. Brett rieb sich den Schlaf aus den Augen, und seine wirren Haare wirkten noch vollkommen unberührt. Er erklärte sich sofort bereit, sie in die Bronx zu fahren.
Bretts Lieferwagen war vollgestopft mit Computer-Equipment und roch wie eine Haschpfeife, aber er trat das Gaspedal kräftig durch. Tia führte neben ihm ein paar Telefongespräche. Sie weckte Guy Novak, erzählte ihm, dass Mike einen Unfall hatte und fragte, ob er Jill noch ein paar Stunden dabehalten konnte. Er hatte sich verständnisvoll gezeigt und sofort eingewilligt.
»Und was soll ich Jill sagen?«, hatte Guy Novak noch gefragt.
»Sagen Sie einfach, dass was dazwischengekommen ist. Sie soll sich keine Sorgen machen.«
»Geht klar.«
»Danke, Guy.«
Tia setzte sich aufrecht hin und starrte auf die Straße, als ob das die Fahrt verkürzen würde. Sie überlegte, was passiert sein konnte. Mike hatte gesagt, dass er Adam über ein im Handy eingebautes GPS geortet hätte. Adam wäre in einer ziemlich zweifelhaften Gegend in der Bronx gewesen. Mike war hingefahren, glaubte, DJ Huff gesehen zu haben, und dann war er überfallen worden.
Adam wurde immer noch vermisst – oder er hatte, wie beim letzten Mal, einfach beschlossen, für ein paar Tage abzutauchen.
Sie rief bei Adams Freunden Clark und Olivia an. Beide hatten Adam nicht gesehen. Bei den Huffs erreichte sie niemanden. Den größten Teil der Nacht und selbst heute Morgen hatte die Vorbereitung auf die Befragung ihre Furcht im Zaum gehalten – zumindest bis Mike aus dem Krankenhaus angerufen hatte. Das war vorbei. Unbändige Angst hatte sie erfasst und ließ sie nicht mehr los. Sie rutschte auf ihrem Sitz hin und her.
»Sind Sie okay?«, fragte Brett.
»Geht schon.«
Aber es ging ihr schlecht. Sie musste immer wieder an den Abend denken, als Spencer Hill verschwunden war und Selbstmord begangen hatte. Sie erinnerte sich an Betsys Anruf …
»Kannst du Adam fragen, ob er Spencer gesehen hat …?«
Die Panik in Betsys Stimme. Die bodenlose Angst, die keine
Sekunde der Erleichterung zuließ. Sie hatte sich Sorgen gemacht – und, wie man hinterher feststellte, vollkommen zu Recht.
Tia schloss die Augen. Sie konnte plötzlich kaum noch atmen. Ihr Brustkorb war wie blockiert. Sie schnappte ein paarmal nach Luft.
»Soll ich ein Fenster aufmachen?«, fragte Brett.
»Nicht nötig.«
Sie sammelte sich noch einen Moment und rief dann im Krankenhaus an. Nach ein paar Minuten bekam sie den behandelnden Arzt ans Telefon, der ihr aber nichts Neues sagte. Man hatte Mike zusammengeschlagen und ausgeraubt. Wenn sie das richtig verstand, hatten mehrere Männer ihren Mann in einer Gasse überfallen. Er hatte eine Gehirnerschütterung davongetragen und war mehrere Stunden bewusstlos gewesen, aber jetzt war er auf dem Weg der Besserung und würde keine bleibenden Schäden davontragen.
Hester Crimstein erwischte sie zu Hause. Ihre Chefin brachte eine mäßige Sorge für Tias Ehemann und Sohn zum Ausdruck – und größte Sorge für ihren Fall.
»Ihr Sohn ist doch vor Kurzem schon mal ausgerissen, oder?«, fragte Hester.
»Ein Mal.«
»Na ja, dann ist das jetzt wohl das zweite Mal. Meinen Sie nicht auch?«
»Es könnte noch mehr dahinterstecken.«
»Was sollte das sein?«, fragte Hester. »Also, wann war die Befragung noch mal?«
»Um drei Uhr nachmittags.«
»Ich stelle
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