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Titel: Sie sehen dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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raus, ganz ungehindert, auf einmal in einem großen Schwall. Und einmal rausgelassen, konnte er ihn nicht mehr kontrollieren.
    Ihre Verwandten hatten versucht, Nash zu trösten. Sie hatten ihren »Glauben« und erklärten Nash immer wieder, dass er »gesegnet«
war, ihr jemals so nahe gewesen zu sein, und dass sie an einem wunderschönen Ort bis in alle Ewigkeit auf ihn wartete. Das brauchten sie wohl, dachte er. Die Familie hatte sich gerade erst von einer anderen Tragödie erholt  – ihr ältester Bruder Curtis war drei Jahre vorher bei irgendeinem misslungenen Einbruch umgekommen  –, aber in dem Fall war Curtis wenigstens schon immer ein Unruhestifter, einer, der nur Ärger gemacht hatte. Cassandra hatte der Tod ihres Bruders schwer mitgenommen, sie hatte tagelang geweint, bis Nash schon den Wahn rauslassen wollte, um ihre Schmerzen so vielleicht irgendwie zu lindern, aber am Ende konnten diejenigen, die ihren Glauben hatten, Curtis’ Tod vernünftig erklären. Ihr Glaube hatte es ihnen ermöglicht, den Verlust als Teil eines größeren Plans zu sehen.
    Aber wie sollte man es erklären, wenn man einen so liebevollen und guten Menschen wie Cassandra verlor?
    Das konnte man nicht. Also sprachen ihre Eltern über das Jenseits, ohne allerdings wirklich daran zu glauben. Alle anderen glaubten auch nicht daran. Warum sollte man sonst über den Tod weinen, wenn man doch glaubte, die Ewigkeit voller Glückseligkeit zu verbringen? Warum sollte man den Verlust eines Menschen betrauern, wenn dieser Mensch dann an einem besseren Ort war? War das dann nicht furchtbar selbstsüchtig, einen geliebten Menschen von einem besseren Ort fernzuhalten? Und wenn man daran glaubte, die Ewigkeit gemeinsam mit dem geliebten Partner im Paradies verbringen zu dürfen, hatte man doch nichts zu befürchten  – schließlich war das Leben nicht einmal einen Atemzug von der Ewigkeit entfernt.
    Nash wusste, dass die Menschen weinten und trauerten, weil sie tief im Innersten wussten, dass das alles nur Blödsinn war.
    Cassandra war nicht mit ihrem Bruder Curtis in weißes Licht getaucht. Das wenige, was von ihr übrig geblieben war, das, was der Krebs und die Chemotherapie nicht schon vorher zerstört hatten, verrottete jetzt in der Erde.

    Bei der Beerdigung hatte ihre Familie auch von Schicksal und einem göttlichen Plan und solchem Unsinn gesprochen. Dass es das Schicksal seiner geliebten Frau gewesen war  – ein kurzes Leben zu führen, in dem sie alle Menschen, denen sie begegnete, tief berührte, in dem sie ihn in ungeahnte Höhen hob, worauf er dann, als sie starb, mit einem lauten Knall wieder auf die Erde aufschlug. Das war auch sein Schicksal gewesen. Er dachte darüber nach. Selbst in ihrer Gegenwart war es ihm manchmal schwer gefallen, seine Natur zu unterdrücken  – seinen eigentlichen Naturzustand, in dem er Gott am nächsten war. Wäre er überhaupt in der Lage gewesen, diesen inneren Frieden aufrechtzuerhalten? Oder war er von Anfang an dazu verdammt, wieder in die Finsternis zurückzukehren und etwas zu zerstören, auch wenn Cassandra überlebt hätte?
    Er konnte es nicht sagen. Aber auf jeden Fall war dies jetzt sein Schicksal.
    Pietra sagte: »Sie hätte nie etwas verraten.«
    Sie sprach von Reba.
    »So genau wissen wir das nicht.«
    Pietra sah aus dem Seitenfenster.
    »Irgendwann identifiziert die Polizei Mariannes Leiche«, sagte er. »Oder jemand merkt, dass Marianne vermisst wird. Und dann hören die sich in ihrem Freundeskreis um. Spätestens da hätte Reba es ihnen erzählt.«
    »Du opferst viele Menschenleben.«
    »Bisher nur zwei.«
    »Und die Überlebenden? Deren Leben verändern sich auch.«
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Du weißt, warum.«
    »Willst du behaupten, dass Marianne damit angefangen hat?«
    »Angefangen wohl nicht. Aber sie hat dem Ganzen eine ganz neue Dynamik gegeben.«

    »Also musste sie sterben?«
    »Sie hat eine Entscheidung getroffen, mit der sie Leben verändern und damit möglicherweise auch zerstören konnte.«
    »Also musste sie sterben?«, wiederholte Pietra.
    »Jede Entscheidung ist bedeutsam, Pietra. Jeder von uns spielt Tag für Tag Gott. Wenn eine Frau sich ein Paar teure Schuhe kauft, hätte sie für das Geld auch einen Menschen vorm Verhungern retten können. In gewissem Sinne waren ihr die Schuhe wichtiger als ein Menschenleben. Wir alle töten, um uns das Leben bequemer zu machen. Wir sagen es nicht so. Aber wir tun es.«
    Sie widersprach nicht.
    »Was ist mit dir los,

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