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Sie und Allan

Sie und Allan

Titel: Sie und Allan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Rider Haggard
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Wein oder Gift enthielte, da mein Herz verzweifelt schien von seinem Versagen, und mein Geist zerdrückt von dem Gewicht seines großen Verrates. Ich vermute jedoch, daß es Wein war, denn der Inhalt des Bechers rann durch mich hindurch wie Feuer und gab mir meinen Mut und meine Lebensfreude zurück.
    Ich trat auf die Empore, setzte mich auf die Couch, und lehnte mich an die abgerundete Lehne, so daß ich Ayesha von Angesicht zu Angesicht gegenübersaß, da sie sich mir zugewandt hatte, und ihre unverschleierte Schönheit erblickte. Eine ganze Weile sagte sie nichts, sah mich nur sehr aufmerksam an und lächelte, als ob sie darauf warte, daß dieser Becher seine Wirkung an mir zeigen würde.
    »Jetzt, wo du wieder ein Mensch bist, erzähl mir, was du gesehen hast, als du mehr – oder weniger – als ein Mensch warst, Allan.«
    Also berichtete ich ihr alles, denn irgendeine in ihr ruhende Kraft schien die Wahrheit aus mir herauszuziehen. Und meine Erzählung schien sie nicht sonderlich zu überraschen.
    »Es steckt Wahrheit in deinem Traum«, sagte sie, als ich zu Ende gesprochen hatte, »und auch eine Lehre.«
    »Dann war also alles nur ein Traum?« unterbrach ich.
    »Ist nicht alles nur ein Traum, sogar das Leben selbst, Allan? Und wenn dem so ist, was sonst kann das sein, was du gesehen hast, wenn nicht ein Traum innerhalb eines Traums, der in sich selbst andere Träume enthält, so wie in alten Zeiten eine jener Elfenbeinkugeln, die von Handwerkern des Ostens so meisterhaft gefertigt wurden, eine weitere Kugel enthielt, und diese eine weitere, und eine weitere, bis die innerste vielleicht eine vergoldete Perle enthielt, oder auch ein Juwel, was der Lohn war für den, der einen Ball aus dem anderen lösen könnte, ohne einen davon zu zerbrechen. Die Suche war schwierig, und nur selten wurde das Juwel gefunden, wenn überhaupt, so daß einige sagten, es wäre überhaupt keines vorhanden, sondern es existiere allein im Gehirn des Herstellers. Ja, ich habe erlebt, daß ein Mensch verrückt wurde und sich töten wollte, weil er das Rätsel nicht lösen konnte. Um wieviel schwerer muß es dann sein, den Diamanten der Wahrheit zu finden, der im Herzen all unserer Träume verborgen liegt, und ohne den als Stütze sie nicht so geformt werden könnten, daß sie Wirklichkeit scheinen?«
    »Aber war es denn wirklich ein Traum? Und wenn ja, was waren seine Wahrheit und seine Lehre?« fragte ich, entschlossen, ihr nicht zu erlauben, mich zu verwirren oder mir mit ihrem metaphysischen Geschwätz auszuweichen.
    »Die erste Frage habe ich bereits beantwortet, Allan, so gut es mir möglich war, da ich nicht der Architekt dieser Kugel der Träume bin und es mir bislang noch nicht möglich ist, das strahlende Juwel in ihrem Innersten, dessen gefangene Strahlen ihre Substanz erhellen, klar zu erkennen, da diese Helligkeit so schwach ist, daß nur solche, welche über die Einsicht eines Gottes verfügen, das Strahlen in der Nacht des Denkens wahrnehmen können, da es für die meisten so unsichtbar ist wie Glühwürmchen im hellen Licht des Tages.«
    »Doch was waren dann die Wahrheit und die Lehre?« wiederholte ich, da ich einsah, daß es hoffnungslos war, von ihr eine klare Aussage über den wahren Charakter meiner Erlebnisse zu bekommen, und ich mich mit ihren Schlußfolgerungen aus ihnen zufrieden geben mußte.
    »Du hast mir gesagt, Allan, daß du in deinen Träumen oder Visionen dich selbst auf einem Thron sitzen sahst, und in diesem Selbst deinen Richter erkanntest. Das ist die Wahrheit, von der ich sprach, wie sie jedoch den Weg durch die schwarze und ignorante Schale eines gefunden hat, dessen Verstand so gering ist, bleibt mir unerklärlich, da ich glaubte, sie wäre allein mir enthüllt worden.«
    (Jetzt glaubte ich, Allan, den Ursprung all dieser Phantasien erkennen zu können, und auch daß Ayesha zum ersten Mal einen Fehler begangen hatte. Wenn sie eine Theorie hatte und ich in einem hypnotischen Zustand dieselbe Theorie entwickelte, war es nicht schwer, ihre Quelle zu entdecken. Ich hielt es jedoch für besser, zu schweigen, und glücklicherweise schien sie jetzt ausnahmsweise meine Gedanken nicht lesen zu können, vielleicht, weil sie zu stark darauf konzentriert war, ihr glitzerndes Netz glattzüngiger Worte zu spinnen, mit dem sie mich einzufangen versuchte.)
    »Alle Menschen verehren ihren eigenen Gott«, fuhr sie fort, »und doch scheint keiner zu erkennen, daß Gott in ihnen wohnt, und daß sie ein Teil von ihm

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