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Sie und Allan

Sie und Allan

Titel: Sie und Allan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Rider Haggard
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für eine kurze Zeit auf Erden dir zugeneigt waren.«
    »Ja«, antwortete ich, und sprang wütend auf, »wie Ihr es sagtet: Ich habe meine Lehre erteilt bekommen, und mehr davon, als ich haben wollte. Also werde ich mich jetzt, mit Eurer gütigen Erlaubnis, verabschieden, in der Hoffnung, Ayesha, daß Ihr, wenn es an Euch ist, eine Lehre erteilt zu bekommen, was, dessen bin ich sicher, auch eines Tages geschehen wird, Ihr diese mehr genießen werdet, als ich es getan habe.«

22
     
    Ayeshas Abschied
     
     
    So sprach ich, dessen Nerven am Ende waren nach allem, was ich gesehen hatte, oder, wie selbst ich jetzt annahm, zu sehen geglaubt hatte. Denn wie konnte ich glauben, daß diese meine Besucher höheren Ursprungs gewesen waren, als nicht vielmehr Ayeshas hinterhältiger Phantasie entstammten? Ich hatte über diesen Punkt bereits meine Theorie gebildet. Sie mußte eine Meisterin in der Kunst der Hypnose sein, die, nachdem sie einen Menschen unter ihren Bann gebracht hatte, seinem Bewußtsein alle Phantasien einpflanzen konnte, die ihr gerade einfielen, zusammen mit einem Sammelsurium ihrer eigenen Theorien. Lediglich zwei Punkte blieben unklar. Der erste war: Woher bekam sie die notwendigen Informationen über einen bescheidenen Menschen wie mich, denn die waren nicht einmal Zikali bekannt, mit dem sie in irgendeiner Art in Verbindung zu stehen schien, und auch nicht Hans, zumindest nicht in dieser Vollständigkeit.
    Ich konnte nur annehmen, daß sie sie auf irgendeine geheimnisvolle Weise aus meinem eigenen Verstand oder meiner Erinnerung gezogen oder, besser gesagt, gesogen hatte, so daß ich die zu sehen glaubte, mit denen ich einst vertraut gewesen war, mit einigen Veränderungen und in einer Umgebung, welche ihre Intelligenz sorgsam vorbereitet hatte. Es sollten einem Verstand wie dem ihren, der, wie ich vermutete, mit den Sagen der alten Griechen und Ägypter vertraut war, nicht schwerfallen, eine Art Hades zu schaffen, und ihn von einem Reich der Schatten zu einem heller Beleuchtung abzuwandeln, und das Bewußtsein dessen, den sie durch ihren Zauber in Schlaf versetzt hatte, dort hineinzuversetzen. Ich hatte nichts gesehen und nichts gehört, das sie nicht auf diese Weise geformt haben könnte, immer vorausgesetzt, daß sie Zugang zu den Fakten hatte, die nur ich allein ihr geben konnte.
    Wenn man diese Hypothese als gegeben annahm, so erhob sich als zweite Frage: Was mochte der Zweck dieses subtilen und zugleich bitteren Scherzes sein? Nun, das glaubte ich erraten zu können. Einmal wollte sie ihre Macht unter Beweis stellen, oder vielmehr mir weismachen, daß sie Macht ungewöhnlicher Art besäße. Zweitens stand sie bei Umslopogaas und mir in der Schuld für unsere Dienste im Krieg gegen Rezu, die, wie sie uns zuvor versichert hatte, auf diese Art abgegolten werden würde. Drittens hatte ich sie auf irgendeine Art gekränkt, und sie hatte diese Gelegenheit wahrgenommen, um sich zu rächen. Und es gab auch noch eine vierte Möglichkeit: Daß sie sich tatsächlich als Moralapostel betrachtete und mir, wie sie gesagt hatte, eine Lehre erteilen wollte, indem sie mir zeigte, wie eitel alle menschlichen Hoffnungen und Einbildungen hinsichtlich der Hingeschiedenen und ihrer Gefühle waren.
    Nun will ich nicht behaupten, daß diese ganze Analyse von Ayeshas Motiven mir während meines Gesprächs mit ihr eingefallen wäre; ich habe sie vielmehr erst sehr viel später und nach langem Nachdenken vervollständigen können, als ich sie als haltbar und richtig erkannt hatte. Zu jenem Zeitpunkt hatte ich allenfalls gewisse Vermutungen in dieser Richtung, war jedoch zu verwirrt, um mir eine klare Meinung bilden zu können.
    Außerdem war ich zu wütend, und aus dieser Wut geschah es, daß ich den Speer losschleuderte, der ihr die fällige Lektion erteilen sollte. Vielleicht waren es gewisse Worte, die der sterbende Rezu gesprochen hatte, die diesen Speer geformt hatten.
    Die Wirkung dieses Wurfs war jedoch bemerkenswert. Offensichtlich durchstieß der Speer eine Lücke in Ayeshas Panzer und bohrte sich direkt in ihr Herz. Sie wurde totenbleich; der pfirsichfarbene Teint wich aus ihrem Gesicht, ihre großen Augen verengten sich, ihre Wangen fielen ein. Sie wirkte einen Moment lang alt, sehr alt, sah wie eine uralte Frau aus. Und dann begann sie zu weinen, denn ich sah zwei Tränen auf ihr weißes Gewand tropfen.
    »Was ist mit Euch?« fragte ich erschüttert.
    »Nichts«, sagte sie, »außer daß du mich zutiefst

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