Sie und Er Botschaften aus parallelen Universen
Grippe im Bett, konnte viel lesen und wurde so klug, wie ich heute bin. Jedes Schlechte hat auch sein Gutes.
Natürlich las ich zwischen zwei Fieberschü-
ben nicht nur gute Bücher, sondern auch schweinische, woraufhin ich dann Handlungen an mir vornahm, für die ich mich als guter Katholik dann schämte. Schon standen 59
wieder die Zytokinen auf der Matte …
Es wären sicher noch mehr gewesen, wenn ich damals schon gewusst hätte, dass der 1600 zum Glück verstorbene Bibelgelehrte Benedicti von den Beichtlingen eine penible Angabe der näheren Umstände der Liebe an und für sich forderte: Wenn jemand diese Sunde begeht und dabei denkt, mit einer verheirateten Frau zu verkehren, oder dieses begehrt, so ist das außer der Sünde der Verweichlichung Ehebruch; wenn er eine Jungfrau begehrt, ist es Schändung; wenn er seine Verwandte begehrt, ist es Inzest; wenn er eine Nonne begehrt, ist es Sakrileg; wenn er einen Mann begehrt, ist es Analverkehr, so auch für Frauen bezüglich der Männer.
An der grundsätzlich ablehnenden Haltung der Kirche hat sich bis heute nichts geändert, wohl aber an meiner. Ich schäme mich schon sehr lange nicht mehr, seit ich bei Schopenhauer Folgendes fand: Die Befriedigung der natürlichen Bedürfnisse, sogar der Geschlechtstrieb, ist nur die Ausführung in der Zeit jenes Willens, von dem der Leib, in seiner Form und Zweckmäßigkeit, die Erscheinung im Raum ist; jene Befriedigung ist also nur in der Darstellungsweise vom Leibe selbst verschieden. Sie ist die Beja-hung des Leibes. Na also. Hast du dich selbst befriedigt, mein Sohn? Aber hallo, Pater, ich habe meinen Leib bejaht, aber sowas von! Und Freud riet 1908 sogar ausdrücklich davon ab, den Sexualtrieb anders als auf dem Wege der Befriedigung bewältigen zu wollen. »Die meisten werden neuro-tisch oder kommen sonst zu Schaden.«
60
Wem das alles zu theoretisch ist, mag doch mal in den Tagebüchern von Thomas Mann schmökern, der z.B. am 6.3.51 schreibt, immerhin im Alter von 76: Seit Wochen vollständiges und ungewohntes Versagen der geschl. Potenz …Da ich es ablehne, oh-ne Vollerektion zu masturbieren, scheint das Ende meines physischen sexuellen Lebens gekommen. Am 19.1. hatte es noch gehei-
ßen: Heftiges Geschlechtsleben in letzter Zeit. Und siehe da, am 9.3. lesen wir erleichtert: Das Erlöschen der Potenz – voreilige Bemerkung. Was dem deutschen Literaturti-tan aktenkundig liebe Gewohnheit war, sollte doch dem Normalsterblichen kein Grund zur Heimlichtuerei sein.
Abschließend vielleicht noch ein theologi-sches Argument: Wenn Gott wirklich nicht gewollt hätte, dass wir an uns herumzup-peln, hätte er uns kürzere Arme gemacht.
Wenn alle so denken würden, gäbe es kein Zytokin mehr außerhalb der Grippesaison.
Denn das ist ja das Fatale am Schämen: Esse est percipi – Sein ist wahrgenommen werden, oder wie Nietzsche sagt: Die Menschen schämen sich nicht, etwas Schmutziges zu denken, aber wohl, wenn sie sich vorstellen, dass man ihnen diese schmutzigen Gedanken zutraue. Wir wollen nicht unbedingt moralisch einwandfrei sein, wir wollen aber sehr wohl vor den anderen so dastehen. Und moralisch hat nicht immer mit Sex zu tun, ich möchte nicht, dass Sie denken, ich sei in irgendeiner Weise auf dieses Thema fixiert.
Moralisch handeln heißt, das Richtige tun, im Kant’-schen Sinne, der ein moralisches 61
Gesetz in uns annahm. So handeln, dass man sich anschließend nicht zu schämen braucht, wenn es einer mitkriegt. Nehmen wir eine Grenzsituation: Ich, oder besser Sie, treiben auf einem zu schwer beladenen Floß nach einem Schiffsunglück im Meer.
Sie sind der Einzige, der das Floß steuern kann, die beiden anderen sind ohnmächtig.
Am Horizont taucht Land auf. Sie haben ei-ne Chance, das rettende Ufer zu erreichen, aber nur, wenn Sie einen der beiden anderen über Bord werfen, anderenfalls sinkt das Floß und alle sind verloren. Die beiden anderen sind Ausländer: einmal der Dalai La-ma, einer der eindrucksvollsten spirituellen Denker unserer Zeit, und eine junge, sehr hübsche Asiatin. Wie entscheiden Sie? Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken, aber Sie sollten sich sicherheitshalber schon mal schämen.
SIE Frauen
Ein irisches Sprichwort besagt, dass drei Arten von Männern im Verstehen der Frauen versagen: junge Männer, Männer mittle-ren Alters und alte Männer. Da haben die alten Iren zweifellos Recht, und Frauen fragen sich ihr Leben lang, woran das wohl liegen mag, denn schließlich reden wir
Weitere Kostenlose Bücher