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Sie und Er

Sie und Er

Titel: Sie und Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea de Carlo
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ein Typ ist er?«, fragt Paula.
    »Der verkehrte Typ.« Clare kommt der Kritik ihrer Schwester zuvor.
    »Hervorragende Ausgangslage.« Paula lacht, aber ihr Ausdruck bleibt angespannt.
    »Jetzt mach dir keine Sorgen«, sagt Clare. »Ich hätte es dir lieber gar nicht sagen sollen.«
    »Wo bist du ihm begegnet?« Ihre Schwester ist zwar nur zwei Jahre älter als sie, versucht aber seit je, sie mit den Einsichten aus ihrem Erfahrungsschatz zu beschützen, wenn sie meint, Clare bringe sich in Schwierigkeiten. Andererseits hat Clare ja deshalb überhaupt davon angefangen: Von klein auf haben die fünf Schwestern ein Netzwerk zur gegenseitigen Unterstützung aufgebaut, um die geheimnisvolle Unergründlichkeit der Mutter und das sporadisch vorhandene Ungestüm des Vaters auszugleichen.
    »Er ist auf Stefanos Auto draufgefahren«, sagt sie.
    »Aha«, sagt Paula. »Perfekt.«
    »Mach nicht so ein Gesicht«, sagt Clare. »Er ist kein Verbrecher. Es regnete in Strömen, die Straße war überschwemmt, er konnte nicht bremsen.«
    »Was macht er?«, fragt Paula.
    »Er schreibt«, sagt Clare.
    Paula fixiert sie, wartet auf etwas weniger vage Angaben.
    »Ein ziemlich bekannter Schriftsteller. Auch wenn er, glaube ich, in letzter Zeit etwas in der Krise ist.« Clare weiß, dass auch diese Details für einen Außenstehenden wenig beruhigend klingen.
    Paulas Blick wird noch misstrauischer: »Was hat er geschrieben?«
    »Sein berühmtestes Buch heißt Der Blick des Hasen«, antwortet Clare.
    Paula legt den Kopf schief: »Ein Essay über das Verhalten von Tieren? Etwas aus meinem Bereich?«
    »Nein, nein, ein Roman«, sagt Clare. »Er hat großen Erfolg gehabt und ist in viele Sprachen übersetzt worden. Auch in den usa und in Kanada.«
    »Wie heißt er gleich noch mal, der Typ?«, fragt Paula.
    »Daniel, Daniel Deserti.« Seinen Namen auszusprechen, beschleunigt Clares Herzschlag, sie wird ganz verlegen.
    Paula tippt schon auf ihrer Tastatur, den Blick auf den Bildschirm geheftet.
    »Was schaust du nach?« Clare weiß genau, dass ihre Schwester den Namen googelt und vielleicht schon bei Daniel Desertis Homepage oder der Fanpage auf Facebook angekommen ist.
    »Clarie, dem Mann stehen die Schwierigkeiten ins Gesicht geschrieben«, sagt Paula. »In Großbuchstaben.«
    »Wie kannst du das einfach so behaupten?« Ihre Abwehr gegen logische Folgerungen ist ungebrochen.
    »Man muss ihn doch nur ansehen, Clarie«, sagt Paula. »Das Gesicht, die Haltung, alles. Der literarische Verführer, der sich obercool aufführt, um jedes Gänschen von Leserin einzufangen, das darauf hereinfällt.«
    »Das ist nicht wahr, du kennst ihn überhaupt nicht!« Sie weiß nicht, ob sie ihn oder sich selbst verteidigt.
    »Besonders jung ist er auch nicht mehr«, sagt Paula.
    »Aber top in Form«, sagt Clare. »Er hat so eine intensive Körperlichkeit, fast martialisch. Typ Papa, weißt du?«
    »O Gott, Clarie«, sagt Paula.
    »Ich wollte dir nur eine Vorstellung geben, Paula!«, sagt Clare. »Ich bin ja nicht blöd.«
    Paula sammelt Indizien wie eine Kommissarin am Ort des Verbrechens: »Und was ist passiert, nachdem er dem armen Stefano das Auto demoliert hat?«
    »Von wegen >armer Stefano<.« Sie bemüht sich, ihre Schuldgefühle zu bändigen.
    »Wo habt ihr euch wiedergesehen?«, fragt Paula.
    »Vor seinem Haus, in Mailand«, sagt Clare. »Aber nur ein paar Minuten, um über die Versicherung zu sprechen.«
    »Und Schluss?« Paula lässt sich nicht so leicht abspeisen; sie kennt ihre Schwester zu gut.
    Clare überlegt, ob sie ihr auch von der Begegnung im Kaufhaus erzählen soll, findet es aber unnötig, schließlich war es purer Zufall: »Letzten Sonntag ist er nach San Minimo gekommen.«
    »Nach San Minimo.« In Paulas Mund entfaltet der Name sein ganzes Gewicht.
    »Ich war hingefahren, um etwas frische Luft zu schnappen.« Umsonst versucht sie, vom Thema abzulenken. »Ich hatte zwei Tage frei und war schon ewig nicht mehr dort gewesen.«
    »O Gott, Clarie, bist du verrückt?«, stöhnt Paula. »Da hast du ihn hinkommen lassen, einfach so?«
    »Nein!« Sie versucht, für die Webcam des Computers ihre schönste Unschuldsmiene aufzusetzen. »Er stand plötzlich vor der Tür. Ohne Vorwarnung. Ich weiß gar nicht, wie er hingefunden hat. Ich wollte eigentlich gerade nach Mailand zurückfahren.«
    Paula seufzt; sie ist es gewöhnt, Clare als die jüngere Schwester zu betrachten, die sich verliebt und Studium und Job aufgibt, mit zwanzig heiratet, die Stadt, das

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