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Sie und Er

Sie und Er

Titel: Sie und Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea de Carlo
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Fernsehgeräusche, Matilde sieht sich ein Quizprogramm an. Clare schlüpft rasch ins Bad, duscht fast kalt. Mehrmals gleitet ihr die Seife aus der Hand; wenn sie sich nicht so gehetzt und an allen Fronten unter Druck fühlte, würde sie loslachen. Sie springt aus der Wanne, frottiert sich Körper und Haare mit dem Handtuch, wickelt es um die Taille und geht in ihr Zimmer zurück. Unterdessen haben die Zeiger des Weckers fast den ganzen freien Raum verschlungen, aus den Boxen klingt weiter das dowodidoo-dowodidoo-tchac-tchac-dowodidoo der Musik, was sie noch nervöser macht. Sie schlüpft in ein schwarzes Spitzenhöschen, das ihre Freundin Anna ihr geschenkt hat, aber es kommt ihr unerträglich albern vor; sie zieht es aus, schleudert es mit dem Fuß weg, nimmt ein anderes aus weißer Baumwolle ohne jeden verführerischen Reiz. Dann zieht sie die Jeans an und ein T-Shirt mit einem Fisch, handgemalt von Maria und Silvia, doch die Jeans sind zu warm und kratzen an den Beinen. Sie reißt sie wieder herunter, holt aus dem Koffer, der ihr als Schrank dient, ihre Cargohose mit den vielen Taschen hervor, zieht sie an; dann schüttelt sie die Haare, die in der Hitze schon fast getrocknet sind.
    Auf der Kommode klingelt und vibriert ihr Handy, ihr Herz macht einen Sprung. Sie stürzt sich darauf, voll Schrecken, sie könnte Daniel Desertis Namen lesen und ihn sagen hören, dass er schon unten steht; oder dass er seine Pläne geändert hat und sie nicht abholen kommen kann.
    Wie unendlich erleichtert sie sich fühlen würde, denkt sie, wenn sie sich so aus der Affäre ziehen könnte, ohne selbst entscheiden zu müssen; und wie unendlich enttäuscht.
    Doch es ist Stefano: »Bist du im Zug?«
    »Ja, ja.« Sofort kommen neue Schuldgefühle hoch, Eile, Genervtheit und Bedauern, Bedauern.
    »Alles in Ordnung?«, sagt Stefano. »Hast du rennen müssen?«
    »Nein, nein, ich war rechtzeitig da.« Sie spricht lauter, damit es nicht auffällt, dass kein Zuglärm, dafür aber Fernsehgeräusche und Stimmen und Autos von der Straße zu hören sind.
    »Nimm ein Taxi, wenn du ankommst, ja?«, sagt Stefano. »Fahr bloß nicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln um diese Zeit.«
    »Selbstverständlich, mach dir keine Gedanken.« Wieder staunt sie, wie unglaublich fürsorglich er jetzt auf einmal ist, seit er sich zum pflichtbewussten Familiengründer, Wohnungskäufer und Einrichter gewandelt hat. Sie findet es traurig und ungerecht, Wut mischt sich in ihre Schuldgefühle, Schuldgefühle mischen sich in ihre Wut.
    »Dann gute Reise«, sagt Stefano. »Schick mir eine sms, wenn du ankommst.«
    »Ja, natürlich.« Sie fühlt sich wie eine Verräterin, sie fühlt sich durch die Umstände gerechtfertigt, ein Opfer des Schicksals, Komplizin bei einem schmutzigen Vorhaben. Ob in Stefanos Tonfall untergründig doch ein Verdacht mitschwingt? Nein, findet sie, eigentlich nicht. Jedenfalls ist sie mindestens mit der Hälfte ihrer Gedanken nicht bei diesem Telefonat, sondern bei den Zeigern des Weckers, bei den Geräuschen auf der Straße. Sie hat auch angefangen, vor dem kleinen Spiegel an der Tür ihren Eyeliner aufzutragen, das Telefon in der Linken.
    »Mäuschen?«, sagt Stefano: besorgt, drängend, weit weg von hier, weit weg von der Wahrheit.
    »Was ist?« Sie will nur noch auflegen, die paar Minuten, die ihr noch bleiben, nutzen, um nachzudenken, sich fertig zu machen oder vielleicht ihre Meinung zu ändern.
    »Nichts«, sagt Stefano. »Gute Reise.«
    »Danke.« Sie legt auf, und mittlerweile hat der Minutenzeiger des Weckers den Kreis schon geschlossen, es ist acht. Ihr Herz klopft erneut schneller. Sie geht noch einmal in das kleine Bad, mustert sich im Spiegel, lockert mit den Händen die schon beinahe trockenen Haare auf. Sie verbringt gewöhnlich nie viel Zeit vor dem Spiegel: Aber jedes Mal ist da ein Unterschied zwischen dem Gesicht, das sie zu haben glaubt, und dem Gesicht, das sie gespiegelt sieht; wenn sie sich lange genug betrachtet, überkommen sie wieder Selbstzweifel. Die Wirkung des Eyeliners gefällt ihr überhaupt nicht: Sie wäscht ihn mit Seife ab, trocknet sich das Gesicht mit einer Ecke des Handtuchs.
    Zurück in ihrem Zimmer, wirft sie einen Blick auf den Minutenzeiger, der seine nächste Runde begonnen hat, dann auf das Handy, das schweigend auf dem Bett liegt. Es ist durchaus möglich, denkt sie, dass Daniel Deserti überhaupt nicht kommt und gar nicht daran denkt, ihr Bescheid zu sagen, weil irgendein Problem in seinem

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