Sie und Er
verhaften.«
Sie atmet tief die glühende Luft ein. »Okay«, sagt sie, öffnet die Tür und setzt sich auf den Fahrersitz. Er liegt tief, knapp über der Straße; und er ist ziemlich durchgesessen, der Rahmen der Windschutzscheibe ist schmal, die Schaltung automatisch, die Kühlerhaube doppelt so lang wie bei Stefanos Auto.
Daniel Deserti setzt sich auf den Beifahrersitz, schiebt ihn nach hinten, um Platz für die Beine zu haben.
Sie fragt sich, welche kleineren Frauen als sie dort wohl schon gesessen haben; wann, auf der Fahrt wohin.
Er sieht sie an, ihr Ausdruck scheint ihn zu amüsieren: »Die Automatik sollte für dich kein Problem sein, oder? Als Amerikanerin?«
Sie schüttelt den Kopf, studiert noch die Armaturen, stellt den Sitz und die Rückspiegel ein. Dass sie am Steuer sitzt, beruhigt sie ein wenig, vielleicht hat er es ihr genau deshalb überlassen. »Wie geht das Verdeck zu?«
»Es geht nicht zu«, sagt Daniel Deserti. »Dann hätte die Reparatur zwei Wochen länger gedauert.«
Sie dreht den Zündschlüssel: Der Sechs-Zylinder-Motor erwacht mit heftigem Fauchen zum Leben, gibt eine Reihe ächzender, quietschender Nebengeräusche von sich, die sie erschrecken.
Er lacht: »Keine Sorge, fahr zu.«
Sie tritt aufs Gaspedal: Der Jaguar macht einen Satz nach vorn, noch bevor sie sich auf der Straße umgeschaut hat. Die Lenkung ist nur zu weich, der Motor brummt ungewohnt, und überall gibt es noch andere sonderbare Töne, aber sie schafft es, um die erste Kurve zu biegen, ohne gegen den Randstein oder die am Straßenrand parkenden Autos zu fahren. Allmählich gewinnt sie etwas Sicherheit, und wenige Minuten später sind sie schon auf der Überführung, auf der Zubringerstraße, an der Autobahnauffahrt nach Genua. Seit jeher hat sie gedacht, der einzige Vorteil ihrer Wohnung dort ist, dass man nicht quer durch die ganze Stadt muss, wenn man an die Küste will. Die heiße Luft weht ihr immer schneller entgegen, zupft an ihren Haaren, dringt ihr durch die Kleider, lärmt in ihren Ohren. Daniel Deserti schaltet die Stereoanlage ein, die Stimme eines älteren Mannes sagt auf Deutsch: »Darf ich um diesen Tanz bitten?« Sofort nimmt er die cd heraus, wirft sie auf den Rücksitz, legt eine andere mit Bluesmusik ein, doch man hört fast nichts.
Als sie ungefähr zwanzig Kilometer südöstlich von Mailand sind, beginnt sie ruhiger zu atmen. Ihr Herzschlag ist fast wieder unter Kontrolle, fast. Ihre Schuldgefühle haben keineswegs abgenommen, mischen sich aber immer mehr mit Euphorie bei dem Gedanken, mit einem beinahe fremden und potentiell gefährlichen Mann unterwegs zu sein, während es ganz langsam dunkel wird. Ihr ist, als bewege sie sich mit hoher Geschwindigkeit auf eine Katastrophe zu, und gleichzeitig, als unternehme sie gerade den berechtigten Versuch zu ergründen, was sie braucht, was sie sucht. Es macht nichts, wenn sie es nicht sofort herausfindet; jetzt liegt ihr erst mal daran, Kilometer um Kilometer den Abstand zur Stadt zu vergrößern, sich hineinzustürzen in den dichten, immer weniger hellen Raum.
Sie hat eine schöne Art zu fahren
Sie hat eine schöne Art zu fahren, mit zurückgeschobenem Sitz, Beine und Arme gestreckt, die Hände fest ums Lenkrad geschlossen, die Haare mit einer Spange gebändigt, damit sie ihr nicht ins Gesicht fallen. Nach den ersten Kilometern scheint ihr der alte Jaguar keine Angst mehr einzujagen: Ihr Gesicht ist gespannt wie bei einem Abenteuer, ihr Blick unerschrocken.
Er mustert sie immer wieder, dann wendet er sich ihr auf einmal zu und sagt: »Dein Stil gefällt mir.«
»Was?« Sie wirft ihm einen raschen Seitenblick zu.
»Dein Stil gefällt mir!«, wiederholt er schreiend, um das Dröhnen der Luft zu übertönen.
Sie lächelt kaum, antwortet nicht, schaut weiter geradeaus. Sie könnte eine Pilotin aus den Pionierzeiten des Fliegens sein, wenn man sie so sieht.
Gewöhnlich mag er es gar nicht, anderen das Steuer zu überlassen, doch jetzt macht es ihm Spaß, zurückgelehnt dazusitzen, einen Fuß gegen das Armaturenbrett gestemmt, einen Arm auf die Tür gelehnt, im Wind, der über alles hinwegfegt. Es macht ihm Spaß, durch die Sommernacht zu fahren mit einer Frau, mit der er noch nie im Bett war, ihr die Kontrolle zu überlassen, um irgendwann die Kontrolle vielleicht selbst zu übernehmen oder auch nicht. Die Unvorhersehbarkeit der Situation fasziniert ihn, erregt ihn, verringert die Leerräume, verschärft die Empfänglichkeit der Rezeptoren,
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