Sie und Er
sie.
»Nichts«, antwortet er. »Ich muss in mein ehemaliges Haus, um einige Bücher zu holen, weil meine zweite Exfrau sie sonst wegwirft.« Er könnte schreien, denn ihm ist völlig klar, dass keine dieser Einzelheiten verlockend klingt.
»Deine zweite Exfrau?«, sagt sie.
»Ja, sie ist bis Ende des Monats verreist.« Wenigstens diese Antwort kommt prompt. »Wir können die Bücher holen und dann machen, was wir wollen, uns die Gegend ansehen.«
»Und wie fährst du da hin?« Man versteht nicht, ob sie aus reiner Neugier fragt oder um einen hypothetischen Raum zu erweitern, bevor sie ihn endgültig abserviert.
»Mit meinem Auto«, sagt er. »Sie haben es repariert.«
»Und der Führerschein?«, sagt sie.
»Du fährst«, sagt er.
»Ich?« Sie lacht verblüfft.
»Ja«, sagt er. »Also abgemacht.«
»Gar nichts ist abgemacht!« Jetzt klingt sie panisch.
»Am Donnerstagabend sind wir wieder zurück, versprochen.« Er geht mit dem schnurlosen Telefon in der Hand auf und ab; etwas Besseres fällt ihm nicht ein, stillhalten kann er nicht.
Am anderen Ende der Leitung nehmen die Geräusche und Stimmen des Call-Centers überhand.
»Wir kommen um sieben zurück«, sagt er. »Mein Ehrenwort.«
Sie schweigt weiter: die Geräusche von Tastaturen, Stimmen, Klingeln, Schneuzen, Rauschen, Krächzen und Knacken in der Leitung vervielfachen sich.
»Hallo?«, sagt er aufgeregt.
»Ja?«, antwortet sie, erschrocken, unsicher.
»Also sind wir uns einig«, sagt er.
»Nein«, sagt sie, doch ihr leicht fragender Unterton scheint auf eine mögliche Schwächung ihrer Abwehr hinzudeuten.
»Um wie viel Uhr kommst du von der Arbeit nach Hause?« Aus reiner Verzweiflung hakt er da ein, wo er eine Öffnung zu erkennen meint, aber sicher ist er sich nicht.
»Keine Ahnung«, sagt sie. »So gegen sieben, das hängt vom Tag ab.«
»Dann hole ich dich um acht Uhr ab«, sagt er. »Du hast gesagt, du wohnst in der Via Palinari, nicht wahr?«
»Ja, aber Moment mal«, sagt sie.
»Neben dem Eisenwarengeschäft, oder?«, fragt er. »Jetzt hör mal kurz zu«, sagt sie.
»Macht nichts, ich finde dich schon«, sagt er. »Wir sehen uns um acht.« An diesem Punkt will er nur das Gespräch beenden, die Situation anhalten, wie sie ist, ihr nicht die Zeit lassen, in Einzelteile zu zersplittern, die man unmöglich wieder zusammensetzen kann.
»Daniel«, sagt sie.
»Clare«, sagt er, erschüttert, als er sich beim Namen rufen hört.
»Hör mal zu«, sagt sie.
»Morgen Abend vor deinem Haus.« Er legt auf, bevor sie weitersprechen kann. Gleich darauf scheint ihm, dass es ihm nicht mehr genügt, zu Hause im Wohnzimmer auf und ab zu gehen: Er stürmt aus der Wohnung, läuft die Treppe hinunter, eilt mit wilden Schritten den Gehsteig entlang, der vor Hitze schier geschmolzen ist, mit brennender Lunge, ohne zu begreifen, ob er gerade einen kleinen Freiraum an Möglichkeiten erobert oder ihn endgültig verspielt hat.
Die Zeiger des Nachttischweckers springen in unerklärlichem Tempo vorwärts
Die Zeiger des Nachttischweckers springen in unerklärlichem Tempo vorwärts, schneller als die Bluegrass- Mandolinenmusik, die aus den winzigen, an den tragbaren cd-Player angeschlossenen Boxen kommt. Jedes Mal, wenn Clare hinschaut, sind die Zeiger wieder ein Stück auf dem Abschnitt des Ziffernblattes vorgerückt, der bis acht noch übrigbleibt. Auf dem Bett liegen zwei Baumwollröcke, ein T-Shirt, zwei Blusen, drei Höschen, eine Jeans und ein Kleid mit provenzalischem Blumenmuster; sie hat alles schon durchprobiert, ohne sich entscheiden zu können, was sie anziehen und was sie mitnehmen soll. Eine so banale Entscheidung, verglichen mit dem, was sie erwartet: Wahrscheinlich reagiert sie deshalb so verwirrt, läuft in ihrem engen, glühend heißen Zimmerchen von einer Wand zur anderen.
Stefanos Stimme um die Mittagszeit fällt ihr wieder ein, als sie in einer plötzlichen Anwandlung zum Telefon gegriffen und ihm erzählt hatte, sie müsse ihre Tante in Ancona besuchen. »Wie, einfach so?«, hatte er gefragt, einen unerwarteten Hauch Sprödigkeit in seinem vernünftigen Tonfall. »Ich habe sie schon ewig nicht mehr gesehen, die Ärmste«, hatte sie geantwortet und sich wie ein Ungeheuer gefühlt, weil sie ihm etwas vorlog und noch dazu ihre Tante als Vorwand benutzte, aber sie war so begierig darauf, frei zu sein, zu entdecken, was es zu entdecken gibt, so verkehrt und hochgradig schädlich es auch sein mochte.
Aus der Küche kommen
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