Sie und Er
sich wenigstens ein bisschen vor den Mücken zu schützen. Sie dreht sich leise seufzend auf die andere Seite. Plötzlich möchte er sie umarmen, sich an sie schmiegen, sie drücken; die Bewegung bleibt ihm minutenlang im Kopf, in den Armmuskeln, in den Fingern. Im schwachen Licht, das durch die Fensterläden sickert, kann er ihren Körper unter dem Laken erahnen, die weiche, volle Rundung der Hüfte; zudem hat er eine noch sehr frische Erinnerung daran, wie sie sich anfühlt, wie alles in ihr pulsiert. Er weiß nicht, woher das verzweifelte Bedürfnis nach Kontakt stammt, das er empfindet: vielleicht aus der Häufung früherer Verluste, weil das Gleichgewicht immer wieder in die Brüche ging, was ihn einem endgültigen Zusammenbruch immer näher bringt. Um der Versuchung zu widerstehen, Clare an sich zu drücken, umarmt er das Kissen und verharrt regungslos in seiner Hälfte des Bettes, zu aufgeregt, zu verwirrt, zu erhitzt, zu wach und zu müde, um zu schlafen.
Lichtstreifen ziehen sich durch den Halbschatten des Zimmers
Lichtstreifen ziehen sich durch den Halbschatten des Zimmers; von draußen hört man das rhythmische Zirpen der Grillen, gedämpfte Stimmen, das Klappern von Metall auf Porzellan und Glas. Sie dreht sich in dem zerwühlten, feuchten Bett um: Daniel Deserti liegt neben ihr, mit dem Gesicht nach unten, das Kissen im Arm, sein nackter Körper fast fremd, fast vertraut. Er atmet, als ob er tief schliefe, doch einen Augenblick später dreht er sich um, blickt sie an, lächelt: »Ciao.«
»Ciao.« Sie lächelt zurück, aber verunsichert. Wer weiß, wie ihr Gesicht und ihre Haare aussehen, nach so einer Nacht von furiosen, mittendrin unterbrochenen Umarmungen, Übelkeitsattacken und trostlosen Überlegungen zum Verhältnis zwischen Männern und Frauen, drückender Hitze und schrecklichen Stechmücken und endlosem Hin-und-her-Wälzen. Sie streckt eine Hand aus, um ihr Höschen oder wenigstens das T-Shirt vom Fußboden zu angeln, aber sie liegen zu weit weg, daher schlüpft sie nackt aus dem Bett, so rasch sie kann.
»Hey, du hast es aber eilig.« Er lacht.
Sie antwortet nicht; ihr ist schwindelig, weil sie so schnell aufgestanden ist. Ihre Kleider sind überall verstreut, zusammen mit seinen, wie Spuren eines Kampfes oder eines heftigen Missverständnisses. Sie hebt sie nicht auf, um nicht stehen bleiben zu müssen, nimmt nur ihre Handtasche und verschwindet im Bad. Sie geht zum Waschbecken, dreht den Hahn auf, schüttet sich Wasser ins Gesicht. Dann betrachtet sie sich in dem kleinen Spiegel, auf der vergeblichen Suche nach einem überzeugenden Ausdruck. Während sie pinkelt, kontrolliert sie ihr Handy: der kleine rote Pfeil der nicht entgegengenommenen Anrufe und der kleine gelbe Umschlag der eingegangenen Nachrichten leuchten. Der Anruf ist von Stefano, das wusste sie schon vorher. Eine der sms ist von Alberto: traust dich nicht mal zu antworten hast wohl Schuldgefühle dass du alles schöne kaputtgemacht hast was wir hatten schämst dich aber nie genug. Die andere stammt von Stefano: Ich wollte dir nur einen schönen Tag wünschen.
Sie zieht an der Spülung und macht ein paar Schritte, wieder kommen Schuldgefühle hoch, und das nächtliche Gespräch mit Daniel Deserti rumort noch in ihr. Außerdem ist ihr nicht klar, ob Stefanos Nachricht ganz harmlos ist oder ob ein verhüllter anklagender Unterton mitschwingt: Die kleinen schwarzen Buchstaben auf leuchtendem Grund geben auch bei mehrmaligem Lesen hintereinander nicht genügend Hinweise.
Sie fängt zwei oder drei Antworten an, um zu erklären, warum sie seinen Anruf nicht abgenommen hat; zuletzt tippt sie nur: Danke, Küsse und drückt sofort auf »Absenden«. Sie zieht einen trockenen weißen Frotteebademantel über, der an der Tür hängt, geht zurück ins Zimmer.
Er steht in dem großen weißen Raum, in den durch die weit geöffneten Fenster Licht und Geräusche hereinströmen: schon angezogen, schon in Bewegung, schon unglaublich weit entfernt von dem unbestimmten Ausdruck, den er noch vor wenigen Minuten hatte, als er sie vom Bett aus ansah und doch nicht ansah. Er geht zur Tür: »Wir sehen uns im Hof.« Weg ist er.
Sie wandert durchs Zimmer, immer aufgeregter und ratloser. Sie hat Mühe zu begreifen, was in ihr vorgeht und was um sie herum passiert, kann schlecht unterscheiden zwischen äußeren Fakten und dem, was sie von nahem betrifft. Daniel Deserti muss ihre Kleider vom Boden aufgelesen haben, er hat sie ordentlich über
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