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Sie und Er

Sie und Er

Titel: Sie und Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea de Carlo
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könnten.«
    »Nicht, dass alle Frauen unendlich viel besser wären, weißt du?«, sagt sie. »Mir scheint, deine Vorstellung ist ein bisschen -«
    »Ich weiß«, sagt er. »Ich habe etliche kennengelernt.«
    »Und viele von ihnen fühlen sich auch sehr wohl in ihrer Rolle«, sagt sie. »Sie finden sie sogar befriedigend.«
    »Es gibt immer einen gewissen Prozentsatz von opportunistischen Sklaven«, sagt er. »Opfer, die mit ihrem Peiniger sympathisieren, ja seine Forderungen vorwegnehmen, ihm die Wünsche von den Augen ablesen. Und außerdem haben die Frauen auch einen masochistischen Zug. Da ist der Mutterinstinkt, die Ernährerin, die sich verpflichtet fühlt, den Trog zu füllen, und die es beglückt, wenn das Schwein die Schnauze hineinsteckt, und sogar, wenn sie ihn hinterher säubern muss. Immer verständnisvoll, bereit, zu entschuldigen, zu rechtfertigen, als wäre es ein gottgewollter Auftrag.«
    Sie lässt seine Worte verklingen, überlegt, was sie erwidern könnte, doch ihr fällt nichts ein. »Was sollten wir denn deiner Ansicht nach tun?«
    »Vergesst es einfach«, sagt er. »Es bringt sowieso nichts. Wir haben euch jahrtausendelang betrogen und diskriminiert, eingesperrt, benutzt und ausgebeutet, ihr habt die raffiniertesten Strategien der Verführung, der stillschweigenden Zermürbung und emotionalen Erpressung entwickelt, bis sie euch zur zweiten Natur geworden sind. Wir haben uns in jeder Form alle denkbaren Lügenmärchen aufgetischt, haben umsonst ganze Ozeane von Wörtern vergeudet. Wir haben uns geradezu kriminell mit unseren Rollen identifiziert und unkontrolliert vermehrt, bis wir beinahe sieben Milliarden geworden sind, wir haben den Planeten, auf dem wir leben, unwiederbringlich verwüstet und jedes Gleichgewicht zerstört. Alles nur wegen dieses idiotischen Arterhaltungstriebs. Und die Tatsache, dass unser Gehirn viel zu groß ist im Vergleich zu unseren reinen Überlebensbedürfnissen, macht alles noch komplizierter und schlimmer.«
    »Was für eine romantische Vision, Donnerwetter!« Sie lacht, aber gleichzeitig drückt ihr die Bitterkeit schier das Herz ab.
    »Mit dreizehn hatte ich vielleicht noch eine romantische Vision«, sagt er. »Vielleicht auch noch etwas später, in manchen Momenten. Aber das war total abstrakt, beruhte auf den Romanen, die ich gelesen, und den Filmen, die ich gesehen hatte, nicht auf Lebenserfahrung.«
    Sie schweigen, ziehen an dem Laken, jeder in eine andere Richtung. Eigentlich könnten sie auch ganz aufhören, miteinander zu sprechen, denkt sie, sagt aber: »Dann hast du mich nur hierher eingeladen, um mich sexuell auszubeuten?«
    »Aber nein«, antwortet er.
    »Nein?«, sagt sie. »Und was soll das dann alles, was du mir gerade so scharfsinnig erklärt hast?«
    »Zumindest nicht nur«, sagt er.
    »Welche Absichten hattest du denn sonst noch?«, fragt sie. »Etwa, dieses erhellende Gespräch führen zu können?«
    »Ach komm«, sagt er.
    »Was heißt hier: ach komm?«, sagt sie. »Welche Absichten hattest du?« Sie geht ihn direkt an, will ihm keine Rückzugs- oder Fluchtmöglichkeit mehr offen lassen.
    »Okay, rein sexuelle Absichten«, sagt er zuletzt.
    »Wow!«, sagt sie, wie eine, die fordert: Komm schon, schlag zu!, und wenn der Schlag dann kommt, ist sie völlig baff, trotz allem.
    »Automatischer männlicher Eroberungstrieb«, sagt er. »Vielen Dank für die Aufrichtigkeit«, sagt sie. »Bitte sehr«, antwortet er. »Das ist ja auch schon was, oder?«
    »Ja.« Sie nickt.
    Sie schweigen beide, rühren sich kaum. Die Grillen zirpen weiter, wenn auch mit längeren Pausen als vorher; wahrscheinlich sind auch sie erschöpft von der stehenden Hitze der Nacht. Sie ist unendlich müde, dreht sich zur anderen Seite, versucht, nicht seinem Atem zu lauschen; vermutlich, denkt sie, wird keiner von beiden in der Lage sein zu merken, ob und wann der andere einschläft.
     
    Das Zimmer ist voller außerordentlich bösartiger, zudringlicher Stechmücken
     
    Das Zimmer ist voller außerordentlich bösartiger, zudringlicher Stechmücken: Sein Rücken, seine Arme und Beine, seine Hände und sogar die Zwischenräume zwischen den Fingern jucken unerträglich. Er wälzt sich in den schweißnassen Laken herum, schlüpft aus dem Bett, durchquert das Zimmer, schließt die Fensterläden. Die Nacht draußen ist zäh und unbewegt wie ein von einem Ölfilm bedecktes Meer; der Mond scheint stur und feindselig, sein kaltes Licht dringt auch noch zwischen den Lamellen hindurch. Der

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