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Sie und Er

Sie und Er

Titel: Sie und Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea de Carlo
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bekommt eine Gänsehaut, lehnt sich auf ihrem Stuhl zurück, schiebt erneut die linke Hand über den Tisch. Er kommt ihr mit der Rechten entgegen; ihre Finger verschränken sich, immer inniger. Sie sehen einander in die Augen, schwebend im Fluss der Kommunikation, in der Strömung, die sie verbindet.
    »Das passiert nicht häufig«, sagt er.
    »Was?« Ihr ist, als spräche sie mit einer Kinderstimme.
    »Das hier.« Mit der freien Hand macht er eine Bewegung, die sie beide umfasst und alles, was rundherum ist.
    »Nein.« Der Schrecken kommt zurück, wie ein kalter Schatten aus einem tiefen, dunklen Bereich. Sie fragt sich, was das alles für Konsequenzen hat; ob es sich wiedergutmachen lässt, wie und wann.
    »Eigentlich passiert es so gut wie nie«, sagt er. Gleich danach lacht er, aber sein Ton klingt absolut ernst.
    »Beunruhigt dich das?«, fragt sie, selbst zutiefst beunruhigt, was nur oberflächlich damit zu tun hat, dass sie zusammen hier sitzen.
    »Ja.« Er lacht erneut, drückt ihre Hand fester.
     
    Hunger und Durst sind gestillt
     
    Hunger und Durst sind gestillt, sie haben beide keine Lust mehr sitzen zu bleiben. Sie stehen auf, er geht zur Theke und bezahlt bei dem Kollegen der Frau, die sie bedient hat, da diese gerade versucht, die Lautstärke der alten Stereoanlage zu regulieren, obwohl inzwischen alle Tische auf der Terrasse leer sind.
    Sie steigen die Stufen zur Straße hinunter, überqueren den kleinen asymmetrischen Dorfplatz; ihre Arme und Beine streifen sich. Nur wenige Menschen sind unterwegs, was für so eine Julinacht unglaublich ist. Sie erkennt einen Typen, der mit einer Frau auf einer Bank sitzt, geht hin und umarmt ihn, spricht mit ihm, sie lachen zusammen. Deserti geht ein Stück weiter, er möchte nicht zur Begrüßung oder Konversation mit Unbekannten gezwungen sein. Nach ein paar Minuten holt die Moletto ihn mit langen Schritten ein, läuft wie bei einem Wettrennen schnell an ihm vorbei auf den steinigen Strand zu. Er verfolgt sie, freut sich über die Elastizität seiner Muskeln, die er in den Beinen spürt. Beide ziehen die Schuhe aus, gehen barfuß über den Kies, der unter ihren Schritten knirscht. Der Mond steht hoch am Himmel, drei Viertel voll: Auf dem schwarzen Meer wirft er einen zittrigen weißen Lichtstreifen auf die kleinen Wellen.
    Schweigend gehen sie nebeneinander her, ohne sich anzusehen, vorbei an zwei Fischern mit langen Angeln und leeren Eimern, versunken in den Anblick der Lichter mehrerer Fischerboote am Horizont und des Himmels über ihnen. Sie nähern sich dem Wasser, gehen auf die dunklere Silhouette der Küste zu: Vom Ende des Strands her kommt Musik, man sieht den rötlichen Widerschein eines Feuers, sich bewegende Gestalten. Er atmet den Salzgeruch ein, lauscht den Klängen; irgendwann dreht er sich zu ihr um und nimmt sie am Arm, zieht sie an sich. Er hat keine bestimmten Absichten, und das erstaunt ihn.
    Eine Weile bleiben sie so stehen, im Spiel von Nebeneinander und Atem, der Abstand verringert sich nicht, ihre Aura berührt die seine.
    Dann kommen plötzlich zwei Typen mit einem Bierkasten und einer Gitarre und rufen: »Clare!« - »Hey!«, ruft sie und stürmt los, um sie mit Umarmungen und Küsschen zu begrüßen. Er empfindet ein unerklärlich heftiges Verlustgefühl.
    Sie stellt ihm die beiden vor: »Marco, Gio.« Die ungeteilte Aufmerksamkeit von vorhin, als sie beim Essen saßen, ist aus ihrer Stimme und ihren Gesichtszügen verschwunden, ebenso wie der verschiedenste mögliche Entwicklungen versprechende Schwebezustand von vorher. Sie hüpft vergnügt herum, während ihre beiden Freunde auf sie einreden, sie anschauen und um sie herumscharwenzeln. Sie lacht mit ihnen, schubst sie, stellt Fragen; Namen anderer Leute und Orte fallen, lösen weiteres Wortgeklingel aus. Vielleicht läuft sie davon, vor ihm und vor dem, was hätte geschehen können: vielleicht.
    Er steht ein paar Meter weiter weg und beobachtet die Szene mit einer Mischung aus Irritation über die Ablenkung, Eifersucht wegen der Vertraulichkeit, mit der die beiden Kerle sie behandeln, Wut, weil sie darauf eingeht.
    Der Typ namens Gio zeigt ans Ende des Strands, wo das Feuer lodert: »Kommt ihr auch mit?«
    »Klar doch!« Sie fragt Deserti gar nicht, was er will. Sie hilft dem Typen namens Marco, den Bierkasten zu tragen, obwohl er darauf beharrt, dass er es allein schafft; sie nimmt eine Seite, fängt an zu ziehen, lacht. Da geht sie: fröhlich, leichtfüßig, beseelt vom

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