Sie waren zehn
Urgroßvater war sogar Admiral geworden. Und merkwürdig: die meisten Ranowskis waren in irgendwelchen Kriegen gefallen, aber immer erst dann, wenn sie einen Sohn gezeugt hatten.
Bunurian atmete schwer. Ich schlage aus der Reihe, Mama, dachte er. Der Gedanke an seine Mutter machte ihn weich und zärtlich. Sie war eine mittelgroße Frau mit einem Scheitel im braunen Haar, und jedes Mädchen, das er bisher besessen hatte, maß er an seiner Mutter. Sie kamen alle schlecht weg, die Bettkätzchen. Nicht daß die Mutter eine ungewöhnlich schöne Frau war – aber was er in allen anderen Frauen vergebens suchte, war ihre Güte, mit der sie alles einhüllte wie in dicke Daunenkissen.
In stolzer Trauer … Mama, schreib das nicht! Schrei hinaus: Sie haben ihn stückweise totgeschlagen! Man ist nicht stolz, wenn man sein Kind verliert. Das ist eine Vokabel der Menschenverachtung.
Gegen Abend kamen sie.
Bunurian hatte ein wenig geschlafen, obwohl er sich zwingen wollte, wachsam zu bleiben. Aber seine von den Schmerzen gefolterten Nerven waren jetzt etwas zur Ruhe gekommen, entspannten sich, durch die kalten Kompressen besänftigt, und mit dem Nachlassen der Schmerzen überfiel ihn auch die Müdigkeit. Erschrocken wachte er jetzt auf und blickte in einen goldroten Abendhimmel. Eine große, an den Rändern zerfledderte Wolke, die wie ein gelbes rauchiges Glas aussah, stand über dem Wald und bewegte sich kaum. Es war fast windstill und sehr warm. Die Erde duftete herb-süß, als sei sie im Laufe des Tages gebacken worden.
Ein Gewirr von Stimmen näherte sich langsam. Zweige knackten, dann schlug man mit Knüppeln gegen die Bäume, als wolle man verstecktes Wild aufscheuchen. Zurufe flogen hin und her.
Sie kommen, dachte Bunurian und lag ganz still. Sie gehen wie die Treiber vor. In einer Kette, Meter um Meter, und wie die Treiber das Wild aufjagen, so rufen sie, machen Lärm, schlagen an die Stämme. Hör uns, du verdammter Schurke! Wir kommen! Wir finden dich! Wo du dich auch versteckst, entkommen kannst du nicht! Hörst du deinen Tod? Klack-klack-klack. Mit den gleichen Knüppeln, die wir gegen die Bäume schlagen, zertrümmern wir dir deine Knochen!
Bunurian war ganz ruhig. Fliehen? Wie sinnlos. Auch wenn es zur Natur eines jeden Lebewesens gehört, vor jeder Gefahr, auch vor der unvermeidbaren, zu flüchten – man muß wissen, wann Angst zur Lächerlichkeit wird.
Aber sein Herz krampfte sich doch zusammen, als er ganz in der Nähe eine Stimme rufen hörte: »Hierher, Genossen! Da liegt ein Schuh! Ein einzelner Schuh! Einen Schuh hat er verloren!«
Bunurian nickte ergeben. Die Ausweglosigkeit machte ihn auf rätselhafte Art zu einem kühlen Beobachter: Mit größtem Interesse verfolgte er die Bemühungen seiner Mörder, ihn, das Opfer, aufzuspüren. Den Schuh hatten sie jetzt gefunden, nachdem der Fallschirm in dem Baum zunächst ihr starres Erstaunen, dann aber eine große Aktivität hervorgerufen haben mochte. Er hörte, wie andere herbeiliefen, wie sie durcheinanderredeten, bis jemand mit einer tiefen Stimme rief: »Seht her, am Schuh ist Blut! Verletzt ist er! Wir müssen ihn finden!«
»Es ist ein russischer Schuh!« sagte jemand.
»Aber keiner von der Armee. Ein ziviler Schuh!« Die dunkle Stimme übertönte alle. »Genossen, wir sehen doch klar: Wenn es ein Notabsprung war, müßte es ein militärischer Schuh sein! Seit wann fliegen Zivilisten durch die Luft?«
»Genossen aus der Partei vielleicht …«
»Und springen hier ab? Weil's hier so schön ist? Oleg Viktorowitsch, trainier dein Gehirn!« Die dunkle Stimme lachte dröhnend. »Hast du vielleicht einen Knall gehört? Ist ein Flugzeug abgestürzt? Wenn so ein Vögelchen aus den Wolken fällt, gibt's eine Explosion, die man über viele Werst hinweg hört. Aber nichts war in der Nacht! Wer da herunterschwebte, wollte keinen Lärm machen! – Bildet wieder eine Kette! Weitersuchen!«
Bunurian setzte sich in seinem dichten Busch auf und legte den gebrochenen Fuß vorsichtig auf den weichen Boden. Plötzlich sah er die Holzfäller. Sie kamen in einer Reihe auf ihn zu, dicke Knüppel und langstielige Äxte in den Händen.
Einer von ihnen trug eine Pistole und streckte sie von sich weg, den Finger am Abzug. Dann standen sie endlich vor ihm. Der Mann, der ihn zuerst entdeckt hatte, stieß einen dumpfen Schrei aus und zeigte mit seinem Knüppel auf den Busch.
»Da!« rief er. »Da ist er! Hat sich verkrochen!«
Gleichzeitig fiel ihm ein, daß der Fremde
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