Sie waren zehn
den Toten, wandte sich dann ab und trottete zu den Hütten zurück. Die anderen folgten ihm, eine stumme Herde, die ihrem Leittier nachzieht.
In einem großen Loch, das eine herausbrechende Baumwurzel hinterlassen hatte, vergrub Oleg den Sender in der Tabaksdose. Vorher aber nahm er den Tabak heraus und wickelte ihn in ein Taschentuch. Ein bißchen Blut war auch in den Tabak gespritzt, aber es war anzunehmen, daß es den würzigen Geschmack nicht beeinträchtigen würde.
Gegen Mittag rollten drei alte, erdbraun lackierte Autos in die Holzfällersiedlung nördlich von Maximowo. Die kleine Meldung – »Wir haben einen Fallschirm und einen fremden Zivilisten gefunden und letzteren erschlagen« – hatte das politische Kommissariat in Kalinin alarmiert.
»Was haben Sie?« schrie einer der feinen Herren in Kalinin entsetzt, als Pawel Tichonowitsch im kleinen Postamt von Maximowo mit ihm telefonierte.
»Wir haben unsere Pflicht erfüllt!« antwortete Pawel mit einem unguten Gefühl.
»Ist der Mann tot?«
»Man könnte es so nennen, Genosse Kommissar.«
»Hat er etwas gesagt?«
»Er wollte von Leningrad erzählen. Aber das sollte uns nur ablenken. Ich habe es sofort erkannt. Da haben wir als treue Sowjetbürger …«
»Wir kommen!« schrie der Mann in Kalinin sichtlich nervös. »Rühren Sie bloß nichts mehr an! Wie die Holzhacker habt ihr euch benommen!«
»Wir sind Holzhacker!« sagte Pawel Tichonowitsch kleinlaut und hängte ein. Der Posthalter, ein zerknitterter Mensch mit einem gelblichen Gesicht, das auf eine rebellische Galle schließen ließ, starrte den Riesen mit der wohltönenden Stimme verständnislos an.
»Was ist denn?« fragte er, als Pawel Tichonowitsch nichts sagte, sondern sich, als suche er Halt, an die Theke lehnte. »Wieviel Tote hatten wir bisher im Großen Vaterländischen Krieg?« fragte Pawel.
»Wer weiß das? Wer zählt sie überhaupt? Hunderttausende. Vielleicht Millionen? Man soll nicht darüber sprechen.«
»Kommt es dann auf einen mehr an, he?«
»Logisch gesehen, nicht.«
»Aber in Kalinin tun sie so, als hätten wir Lenin aus seinem Glassarg geklaut. Was man tut – immer ist es falsch! Ein mistiges Leben ist das, Brüderchen.« Pawel Tichonowitsch spuckte auf den Boden, was auch verboten war, denn man soll die Amtsräume, vor allem die Post, sauberhalten.
Das zerknitterte Männchen hinter der Theke wollte schon etwas sagen, aber als er in Pawels Augen blickte, verschluckte er den Protest.
»Ich glaube, wir haben vieles falsch gemacht«, sagte der Riese und klopfte seine Taschen ab. »Wieviel Kopeken für das Telefon?«
»Ist umsonst, Genosse. War ein Amtsgespräch. – Kommen nun die Kommissare?«
»Aber sicher.«
In Maximowo gab es so etwas wie einen lautlosen Alarm. Aus Kalinin rückt eine Kommission heran! Kommissionen – das kannte man – gaben sich nie mit dem zufrieden, was sie untersuchen sollten. Das zog nur immer größere Kreise, so wie ein Stein, der ins Wasser fällt. Und das veranlaßte vor allem den Stadtsowjet von Maximowo, im Eilverfahren seine Bücher zu überprüfen.
In Moskau ahnte man noch nichts. Es war ein Fall für den Bezirk Kalinin, und das dortige NKWD-Büro hütete verbissen das neue Geheimnis. Wenn etwas an der Sache war – vielleicht war's wirklich ein Spion –, wollte man sich das Lob selber verdienen. Die Genossen in Moskau trugen schon Orden genug.
Männer, die Milda Ifanowna Kabakowa kannten – und sie hatte einen weiten Bekanntenkreis –, schnalzten mit der Zunge, wenn sie ihr begegneten. Frauen aber sagten ihr artige Worte und platzten vor Neid. In ihrer kleinen Wohnung in der Lesnaja uliza Nummer 19, nahe der Omnisbushaltestelle und der Straßenbahnstation der Linien 5 und 25, kamen jeden Sonnabend vor allem Künstler und Autoren zusammen, um zu diskutieren, Radio zu hören und eigene Werke vorzustellen . Ein kleiner Kreis war es nur – auch die meisten Künstler und Schriftsteller lagen ja irgendwo den Deutschen gegenüber und kämpften um die Befreiung des Landes. Aber sie schrieben alle fleißig Briefe; man las sie vor, und oft waren auch Gedichte und Erzählungen dabei, die es wert gewesen wären, in den Kulturzeitschriften veröffentlicht zu werden. Milda pflegte diese Abende. Sie war zu allen freundlich, gönnte jedem Mann einen Blick auf ihre üppige Schönheit, wippte mit den Brüsten und stolzierte auf ihren langen schlanken Beinen einher wie ein Reh und trug ihre Röcke immer so, daß man bei einer koketten Drehung
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