Sie waren zehn
nicht in ihrer Begleitung war. Nein, sie stand allein im Foyer, blätterte in einem Programm, das man wegen des Krieges auf unansehnlichem braungrauem Papier druckte, und wartete auf das Klingelzeichen.
Major Wolnow schluckte, um seinen trockenen Hals anzufeuchten, trat auf die Schönheit zu und sagte – er verfluchte sich dieses dämlichen Satzes wegen, aber er war nun einmal herausgerutscht: »Haben Sie auch ein Körnchen für mich?« Dann wurde er rot im Gesicht. Die Schöne, Erhabene, Verzaubernde hob das Köpfchen, musterte den Offizier unbefangen, faltete das Programm zusammen und antwortete: »Ich verstehe Sie nicht, Genosse Major.«
»Sie haben die Tauben vor der Universität so zärtlich gefüttert, daß ich mir wünschte, ein Täuberich zu sein.«
»Ein tragischer Wunsch.« Sie lächelte verhalten, aber tatsächlich, sie lächelte! »Wissen Sie nicht, daß man die Tauben reduzieren will? Sie nehmen überhand. Man will die Hälfte mit Gift vernichten.«
»Und Sie füttern sie trotzdem?«
»Eine Henkersmahlzeit. Vielleicht auch aus Protest. Was gefällt Ihnen besser?«
»Protest! Ich liebe Tiere. Tiere aller Art. Das geht so weit, daß ich mich an der Front mit meinen Flöhen unterhalten habe …«
Jetzt lachte sie. Es war Wolnow wie ein Glockenklang. Er bewunderte ihr Gesicht, die geöffneten Lippen, die weißen Zähne, und als er tiefer blickte, bekam er einen heißen Atem. Ihr Busen vibrierte bei ihrem Lachen.
»Ich bin Iwan Michailowitsch Wolnow«, sagte er schnell, um diese günstige Minute auszunutzen. »Ich war drei Tage lang auf dem Universitätsplatz und hoffte immer auf ein Wunder. Nämlich: Sie wiederzusehen. Man darf in Rußland an Wunder glauben, das ist unsere Spezialität. Und es beweist sich wieder einmal: Sie stehen vor mir!«
»Ich heiße Milda Ifanowna Kabakowa.« Sie sagte es ganz schlicht, drehte dabei das Programm in den Fingern und sah an ihm vorbei.
»Damals gingen Sie sehr schnell weg mit einem jungen Mann.«
»Ach ja! Es war Matwej Petrowitsch. Ein Dichter. Ein armer Junge. Er wird bald an der Schwindsucht sterben. Und er weiß es.«
Wolnow ertappte sich bei dem bösen Gedanken, daß Matwej Petrowitsch recht geschehen würde, wenn er sich aus der Welt hustete.
»Sie betreuen ihn, Milda Ifanowna?« fragte er.
»Er gehört zu einem Kreis von Freunden, der sich bei mir trifft. Der Krieg hat unser Volk verroht. Wir wollen, daß nach dem Ende des Kampfes wieder die Poesie in unserem Lande aufblüht. Rußland ist so reich an zarten Seelen.«
Wolnow wurde es ungemütlich. Mit der Poesie stand er nicht auf so vertrautem Fuß, daß er hier mitsprechen konnte, wenn Milda Ifanowna ins Detail ging. Und von zarten Seelen hielt er als Offizier wenig. Mit zarten Seelen kann man keine Armee aufbauen. Ein Mann muß zugreifen und zuschlagen können, was nicht ausschließt, daß er auch sehr zärtlich sein kann und in den Armen einer Frau zu Wachs wird. Man kann ein Scharfschütze sein und trotzdem Puschkins Novellen lesen. Wer sagt, daß ein Mensch, der Rosen züchtet und bei Nachtfrost um sie zittert, nicht auch eine Granate auf einen deutschen Tiger-Panzer abfeuern kann? Der Mensch ist kompliziert, Milda Ifanowna.
»Wo sitzen Sie, Iwan Michailowitsch?« fragte sie. Wolnow bekam Magenschmerzen vor Glück. Sie nennt mich beim Namen! Sie sagt nicht Genosse Major … sie sagt Iwan Michailowitsch! Hinweg mit allen Gedanken, die nicht Milda heißen!
»Im Parkett, Reihe 17.«
»Ich habe Reihe 24.«
»In der Pause warte ich hier auf Sie, Milda Ifanowna. Und nach der Aufführung.«
»Ich glaube nicht …«
»Holt Sie der Lyriker ab?« Wolnows Hals wurde kratzig vor Eifersucht.
»Nein.« Sie strahlte ihn an. In ihren dunklen Augen hüpfte ein goldener Punkt, aber es war nur eine Spiegelung der Lampen im Foyer. Doch es war Wolnow, als habe ihm eine kleine Sonne zugelacht. »Warten wir es ab. Die Aufführung dauert noch drei Stunden, Iwan Michailowitsch.«
Wolnow durchlitt diese Stunden mit der Leidensfähigkeit eines Märtyrers, dessen Leib mit glühenden Zangen versengt wird. In der Pause hetzte er ins Foyer und kaufte – es gab ja nichts anderes – ein Glas rötlicher, klebriger Limonade und wartete auf Milda Ifanowna.
Sie kam herein, schwebend wie ein Engel, von den Männern geradezu frivol begafft – so erschien es Wolnow, und er hätte jeden, der sie anblickte, ohrfeigen mögen –, nahm ihm das Glas aus der Hand, nippte an der süßen Limonade, ließ ihre Zungenspitze
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