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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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blitzschnell über die Lippen gleiten und hakte sich dann bei Wolnow unter.
    Das war so unerwartet, so ungeheuerlich, daß Iwan Michailowitsch wie gelähmt dastand und ein erschütternd dummes Gesicht machte. Erst nach ein paar Sekunden setzte er sich in Bewegung und wandelte, Moskaus schönste Frau am Arm, die ganze Pause über durch die Wandelgänge des Bolschoi-Theaters und genoß wie ein siegreicher Kampfhahn die hinterhältigen Blicke seiner männlichen Genossen.
    Worüber er gesprochen hatte, wußte Wolnow nicht mehr, als er wieder auf seinem Theaterstuhl saß. Er hatte jedenfalls nicht viel von der Vorstellung, schloß zwar ab und zu die Augen, was man bei einer Sinfonie, aber nicht bei einem Ballett tun sollte, und dachte nur an Milda.
    Nach dem Theater brachte er sie nach Hause und verabredete sich mit ihr für einen Spaziergang im Gorkij-Park.
    Dann geschah es, daß er am Sonntag bei ihr blieb. Keiner von ihnen sprach ein Wort darüber – es war wie selbstverständlich, daß sich Milda am Abend auszog und ins Bett legte und daß Iwan Michailowitsch sich in einer Sitzbadewanne wusch und dann zu ihr kam, ihren nackten, warmen Körper streichelte, ihn von der Stirn bis zum zierlichen kleinen Zeh mit Küssen bedeckte, bis er in den Zangen ihrer Arme und Beine den Rest von Verstand verlor.
    Bis zur Fahlheit des frühen Morgens tobte in ihnen das heiße Gewitter, fast pausenlos. Wolnow und Milda tupften einander den Schweiß ab, rauchten eine Zigarette aus den Beständen der Kremlversorgung – ein süßlicher, parfümierter Tabak, der aus Aserbeidschan stammte – und tranken ein Glas goldgelben, grusinischen Kognaks, von dem Wolnow eine kleine Flasche mitgebracht hatte.
    »Ich bin kein Mensch mehr«, sagte er selig ermüdet. »Ich muß die Augen schließen, weil ich nicht sehen will, daß ich auf der Erde lebe. Eigentlich müßten wir Angst haben …«
    »Angst? Wovor Angst?« Sie streichelte seine Brust und wickelte seine Brusthaare um ihren Zeigefinger. Es kitzelte, und er blies Luft durch die Zähne.
    »Tausende sterben an diesem Morgen, wir aber schweben durch das Glück, Mildaschka …«
    »Du wirst nie mehr an die Front kommen.«
    »Wer kann das wissen?«
    »Du hast doch einen festen Posten im Kreml, sagst du. General Radowskij ist dein Freund.«
    »Er mag mich.« Wolnow sah dem Rauch seiner Papyrossa nach. »Ich gehöre zum Offiziersstamm um Stalin.«
    »Für dich ist der Krieg schon zu Ende, mein Liebling«, sagte sie, und ihre Zärtlichkeit riß ihn mit. Er umarmte sie und zog sie über sich, aber sie blieben still liegen und genossen nur ihre glatte Haut. »Bald seid ihr in Berlin, und die Deutschen werden um Gnade winseln. Es kommt doch bald die große Offensive, Janja?«
    »Am 20. Juni …«
    »Das ist ja morgen!« Sie sah ihn erschrocken an. Er nickte und saugte an dem Rest seiner Zigarette.
    »Wir werden sie niederwalzen, die Deutschen! Zehnmal stärker als sie sind wir – die Reserven, die aus Sibirien kommen, nicht mitgerechnet.« Er preßte ihren nackten Körper an sich und vergrub sein Gesicht in ihr duftendes Haar. »Du hast recht, du Engel«, sagte er, und im Wald ihrer Haare klang seine Stimme dumpf. »Wir haben den Krieg schon gewonnen. Die Welt weiß es aber noch nicht. Sie wird sich wundern, wie mächtig Rußland sein wird. Moskau – der Mittelpunkt der Welt! Ohne uns wird es keine Weltpolitik mehr geben. Den Lauf aller Dinge bestimmen wir, die Russen! Daran wird sich die Welt gewöhnen müssen – oder sie geht zugrunde!«
    Milda Ifanowna schwieg. Sie streichelte Wolnows Hüften und dachte an die zehn deutschen Offiziere, die jetzt um Moskau herum abgesprungen sein mußten und auf dem Weg in die Stadt waren.
    Ein Sternmarsch des Tötens. Der letzte verzweifelte Versuch, die Welt vor dem Bolschewismus zu retten.
    Stalins Tod … eine neue Zeit?
    Plötzlich zweifelte sie daran. In Wolnows Armen begriff sie schaudernd die Illusion, der sie alle nachhingen. Rußland war nicht Stalin. Es gab auch noch die Wolnows, die vielen tausend kleinen Wolnows, die Millionen Iwan Michailowitschs, die hinter der Idee standen: Die Welt wird rot werden! Rot unter Rußlands Fahnen, vielleicht auch rot vom Blut durch Rußlands Waffen. Eine andere Alternative gab es nicht für die Wolnows, die nach Stalin kommen würden.
    »Ich liebe dich, Janja«, sagte sie mit umflorter Stimme. »Ich könnte dich mit Wonne erwürgen …«
    Sie meinte es ehrlich. Iwan Michailowitsch aber erschauerte unter ihrer

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