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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gesäubert worden sein. Ausgespritzt mit einem Druckwasserschlauch, dessen scharfer Strahl alles wegschwemmte.
    Es war nicht anzunehmen, daß vor Moskau der Zug noch einmal hielt und die Kühe gewaschen wurden. Erst auf dem Zielbahnhof würde man wieder mit den Schläuchen kommen und die Tiere säubern, damit sie nicht allzu verschmiert mit Kot in das Schlachthaus trotteten.
    Kraskin war mit seinen Mutmaßungen zufrieden, drückte sich in die Wagenecke, stützte den Hintern auf die schmale Latte, und versuchte zu schlafen. Eine große Kuh mit fast menschlichem Blick leckte ihm über das Gesicht. Er lachte, drückte den Kopf zur Seite und sagte beruhigend: »Nun laßt mich schlafen, ihr Viecher! Ihr werdet sehen, wie gut das geht. Wir haben an der Front schon ganz anders geschlafen. Beim Vormarsch, damals im Sommer, da schliefen wir beim Marschieren und wachten auf, wenn wir auf den Vordermann prallten. Die Beine gingen weiter, Schritt um Schritt, aber der Kopf schlief. Da ist das hier geradezu komfortabel. Gute Nacht, ihr Rindviecher!«
    Er schloß die Augen und spielte in sein Gehirn Melodien aus La Boheme ein. Die Winterszene vor dem Zollhaus … Man konnte so gut dabei träumen. Musik streichelt die Seele. Er wachte auf, weil ein rasender Schmerz vom Fuß durch seinen Körper zuckte. Der Zug ratterte durch die Nacht mit einer Geschwindigkeit, als jage er einem Unglück davon. Die Kühe waren unruhig, bedrängten sich, stießen gegeneinander, drückten mit den schweren Leibern. Ihre Köpfe waren erhoben, die Glotzaugen schienen sich um das Doppelte vergrößert zu haben. Kraskin stöhnte auf. Die Kuh vor ihm hatte ihn gegen das Schienbein getreten, ihr dicker Kopf war fast in den Nacken gelegt, und jetzt quoll ein dumpfer Schrei aus ihrem Maul, und Speichel lief an den Seiten heraus.
    Kraskin klebte an der Waggonwand und konnte sich nicht mehr rühren. Die Tierleiber, eine bewegte kompakte Masse, gaben nicht nach, auch als er mit aller Kraft und beiden Fäusten gegen diese fleischige Mauer boxte. Trotz des Ratterns der Räder nahm er nun auch die Ursache der Unruhe wahr: tief über das Land, verborgen von der Nacht, jagten sowjetische Bombergeschwader nach Westen. Ihr dumpfes Motorengedröhn wurde zeitweise übertönt von dem Brüllen der Kühe. Für sie waren die unbekannten Laute aus dem Himmel eine Gefahr, eine Bedrohung, der sie nicht entrinnen konnten, solange sie hier eingepfercht waren. Sie wollten nichts, als diese Enge durchbrechen, sich befreien und vor den fremden Tönen davonrasen. Die Weite des Landes war ihr Schutz, sie kannten es, sie waren auf den riesigen Weiden immer der Gefahr davongelaufen. Und draußen, jenseits der klirrenden Wände, lag die Freiheit, sie witterten sie, sie rochen die Wiesen und Wälder. Wer hat da gesagt, eine Kuh sei dumm? Wer hat die Gedanken einer Kuh erforscht, wenn sie die Gefahr erkannt hat?
    Kraskin stand mitten in einem Kampf gegen diese aufgewühlte Natur. Über ihm donnerten die Bombergeschwader, so tief über das Land fliegend, als wollten sie neben der Eisenbahnstrecke landen. Und nun gerieten die Kühe in Panik, trampelten, stießen mit den Köpfen um sich, warfen ihre massigen Leiber gegen die Waggonwände, drängten wie eine Lawine aus Fleisch und Knochen aus der Enge hinaus.
    »Zurück!« brüllte Kraskin und hieb um sich. Er traf Mäuler und Hörner, Stirnen und Augen, trat in nachgebende Leiber und stahlharte Knochen, hielt die Ellenbogen vor sein Gesicht, als die Kühe nach ihm stießen, und rammte seine Knie in Weichen und Euter.
    »Zurück!« schrie er wieder. »Ihr dämlichen Viecher! Es sind doch nur Flugzeuge! Es ist nicht 'mal ein Gewitter! Zurück!« Die Kuhleiber drückten ihn gegen die Wand. Er bekam kaum noch Luft, drosch ununterbrochen auf die Köpfe ein, brüllte dabei nur Laute, weil es keine Worte mehr gab, und versuchte, der ihn zerquetschenden Masse zu entrinnen. Hinauf, dachte er. Die Wand hinauf! Und an der anderen Seite wieder hinunter. Auf den Puffern weiterfahren, irgendwie wird das schon gehen, es muß einfach gehen, hier werde ich wie eine Wanze an der Wand zerquetscht … Er stöhnte auf, weil ihn ein Hornhieb gegen die Schulter traf, dann spürte er ein warmes Rinnen über seinen Körper, als läge seine Schulter unter einem offenen Wasserhahn.
    Blut, dachte er. »O verdammt, ich blute. Sie haben mir die Schulter mit den Hörnern aufgerissen. Ich muß hier heraus … sie zermalmen mich … sie treten mich zu Brei …«
    Er versuchte

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