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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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werden Sie vor Freude bloß nicht unvorsichtig! Denken Sie nur daran: Ich habe eine Stadt erreicht. In dieser Stadt muß ich unauffällig leben. In dieser Stadt muß ich einen Auftrag ausführen. Und dieser Auftrag ist das Schwerste, was je einem Menschen zugemutet wurde. – Dann sieht die Stadt für Sie schon ganz anders aus, auch wenn in der Sonne die goldenen Kuppeln der Kirchen leuchten.«
    Petrowskij streckte die Beine von sich, schielte aus den Augenwinkeln über den Lermontow-Platz und wartete ab.
    Man soll an seinem ersten Vormittag in Moskau nichts übereilen.
    Eine Stunde später rollte Fjedor Pantelijewitsch Iwanow in den Jaroslawer Bahnhof ein. Auf dem Bahnsteig hakte sich Wanda Semjonowna bei ihm ein, als seien sie schon ein im Sturm erprobtes Liebespaar, die Abteilgefährten schüttelten sich die Hände, der dicke Bauer schenkte Iwanow den Rest der Wurst, und ein Väterchen mit langem Bart gab Fjedor die Adresse eines Arztes, der beste Verbindungen zu einer Klinik haben sollte, deren Chefarzt wiederum an maßgebender Stelle der Ärztekommission saß, die darüber zu entscheiden hatte, ob Iwanow noch felddiensttauglich sei mit seiner aufsehenerregenden Narbe. Allseits herrschte reine Freude, und man versicherte sich einander seiner Freundschaft. Dann spazierte Iwanow, mit Wanda am Arm, über den Komsomolski-Platz, spendierte an einer Trinkbude ein Mineralwasser und gab sich sehr schüchtern, als Wanda Semjonowna sagte:
    »Kommst du mit, Fedja? Zu meinen Eltern? Freuen werden sie sich, einen Helden des Großen Vaterländischen Krieges zu begrüßen. Oder mußt du gleich zu den Ärzten? Heute ist ein freier Tag für mich, und morgen spreche ich mit dem Brigadeleiter. Wäre es nicht wunderschön, wenn wir zusammen in einer Kolonne arbeiten könnten? Du baust das Gerüst, und ich verputze die Wände.«
    »Am Kremlpalast!« Iwanow strich seine blonden Locken von den Augen. Über den Platz wehte ein warmer Wind. »Sie werden nicht jeden dafür nehmen!«
    »Ich schlage dich vor. Ich bin ja Vorarbeiterin!«
    Er nickte. Plötzlich küßte er sie, mitten auf dem Platz, und sie hielt still, stellte sich sogar auf die Stiefelspitzen und krallte ihre Finger in seine blonden Haare.
    »Ich bin verrückt …«, sagte sie atemlos, als er sie endlich losließ. »Verrückt bin ich, Fedja. So kurz kennen wir uns, aber ich hab dich so lieb, daß ich dich nie wieder hergeben möchte.«
    »Wer redet denn davon, Wandaschka?« sagte er zärtlich und umfaßte ihre schmale Taille. »Ich gehe nie wieder fort. Ich bleibe in Moskau und bei dir.«
    Wie wahr, dachte er mit Bitterkeit auf der Zunge. Ich werde Moskau nie mehr verlassen können. Der Leutnant Poltmann ist ja seit zwei Tagen tot.
    Sie gingen weiter, eng aneinandergeschmiegt, wie es sich für ein Liebespaar gehört, und bogen auf den Lermontow-Platz ein. Hier spielte das Schicksal Verstecken, denn genau sieben Minuten früher war Petrowskij von seiner Bank aufgestanden, hatte den Platz überquert und sich der Kirow-Straße zugewandt, die direkt zum Kreml führte. Über die Kirow-Straße kam man am Hauptpostamt vorbei, am Nowaja-Platz mit seinen Bäumen und am Marksa-Prospekt, an dem das berühmte Hotel Metropol lag, das beste Hotel von Moskau, um die Jahrhundertwende von britischen Architekten erbaut. Links lag dann der riesige Komplex des Kaufhauses GUM , und wenn man ein guter Russe war, schlug einem nun das Herz schneller, denn vor einem breitete sich der Rote Platz mit dem Kreml aus, leuchtete der rote Stern an der Spitze des Spasski-Turms und fragte der dunkle Klotz des Lenin-Mausoleums jeden Staunenden: Hast du schon ins Gesicht der Revolution geblickt?! Und wie ein steingewordenes Märchen glänzten zur Moskwa hin die mächtigen bunten Zwiebeltürme der Basilikus-Kathedrale, von Iwan dem Schrecklichen erbaut als Dank an den gnädigen Gott, der den Russen den Sieg über die Tataren gegönnt hatte.
    Petrowskij ging langsam die Kirow-Straße hinunter. Eigentlich hätte Iwanow noch seinen Rücken sehen müssen, aber wer achtet auf seine Mitmenschen, wenn er ein Mädchen wie Wanda Semjonowna spazierenführt?
    Zum Frühstück gab es eine dicke Grießsuppe, die mehr Wasser als Milch enthielt, aber sie schmeckte süß, füllte den Magen und weckte Erinnerungen an bessere Zeiten, wo man Obst in den Grieß schnitt oder dicke Fruchtsäfte oder sogar kandierte Beeren.
    Priwalzew, der Hotelpächter, hatte sogar einen Tee gekocht und wartete schon auf Kraskin.
    »Na, wie schläft

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