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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hochzuspringen, um den Waggonrand zu erreichen, aber die Kühe ließen ihm keinen Platz für einen Sprung, ihre zitternden, von der Angst geschüttelten Leiber preßten ihn ein, umschlossen ihn mit ihrer unteilbaren Massigkeit.
    Kraskin begann zu schreien, hell und langgezogen zu schreien. Sein linker Arm begann zu zittern, die Schulter war taub geworden, gefühllos, aber auch unbeweglich, und das Blut rann noch aus der Wunde, es mußte eine schreckliche Wunde sein, er wagte nicht, sie abzutasten, sie zu sehen, war unmöglich, denn sie war im Rücken, unter dem Nacken gerissen worden.
    Noch einmal versuchte Kraskin, die rettende Oberkante der Waggonwand zu erreichen. Er drückte sich an der vor ihm stehenden Kuh empor, stemmte sich, mit dem Rücken an der Wand, mit den Beinen gegen den Tierleib, langsam hoch, so wie ein Kletterer einen Felskamin bezwingt … aber auf halber Höhe krachte es über ihm im Nachthimmel, einer der Bomber mußte einen fehlerhaften Motor haben, er spuckte dröhnend, wie riesenhafte Schüsse klang es … und nun verloren die Kühe den letzten Rest von Trägheit, bäumten sich auf, stiegen in der Enge übereinander, trampelten in wilder Panik gegen alles, was Widerstand war, stießen mit den Hörnern um sich und hüllten sich in ein qualvolles Brüllen ein. Kraskin plumpste auf den Waggonboden zurück. Er rutschte auf dem glitschigen, von Urin und Kot verschmierten Boden aus, fiel auf die Knie und wurde sofort von einem Kuhtritt getroffen. Halb betäubt versuchte er, sich aufzurichten, aber da waren die Leiber um ihn und über ihm, niederbrechende Felsen aus Fleisch, die ihn vollends zu Boden warfen. Er stieß wieder mit den Fäusten um sich, die Spalthufe trommelten auf ihn herunter, traten ihn in den breiigen Kot, er antwortete mit Tritten, krallte sich mit beiden Händen in ein dickes Euter und zog sich daran vom Boden, zwischen der wild herumstampfenden Kuh hängend wie ein Kosak, der im vollen Galopp unter seinem Pferd hindurchkriecht und zwischen den wirbelnden Beinen pendelt.
    Es war nur ein kärglicher Aufschub für Kraskin. Ein Stoß warf ihn wieder auf den Boden, und dort zertrat ihm ein Huf die rechte Hand. Bis in sein Hirn hörte er das Zerknacken der Knochen. Er biß sich in den linken Unterarm, begann vor Hoffnungslosigkeit und Todesangst zu weinen, ein Schluchzen durchzog seinen Körper, auf den die Huftritte herunterprasselten, und dann war Kraskin nur noch eine gefühllose, armselige Masse, die unter den brüllenden Kühen alle Formen verlor, die auseinanderfloß und sich mit Kot und Urin vermischte.
    Gegen fünf Uhr morgens traf der Kuhtransport auf dem Güterbahnhof in Moskau ein. Die Tiere hatten sich längst beruhigt, standen schwankend in ihren Waggons und ließen sich ohne erkennbare Regung abspritzen. Drei Kolonnen mit dicken Schläuchen, meist Frauen in hohen Gummistiefeln, schoben die Eisentüren zur Seite und schwemmten mit hohem Wasserdruck den Mist von den Wagenböden.
    Auch zu dem Wagen Nr. 27 kamen sie, knallten die Riegel herum und drückten die Rolltür weg. Der Wasserstrahl zuckte aus der Spritze, träge wälzte sich der Mistschlamm über die Waggonkante. In einer Ecke blieb ein Klumpen liegen. Die Arbeiterin Antonia Nikolaijewna stieß einen unfeinen Fluch aus, nannte den sperrigen Haufen einen Hurendreck und hielt den Wasserstrahl voll darauf.
    Der Klumpen blieb, als sei er auf dem Boden festgebacken. Antonia Nikolaijewna gab ein Beispiel dafür, daß eine Frau im Arbeitsprozeß beim Fluchen keinem Manne nachsteht, klemmte den Schlauch an der Tür fest, ließ den Wasserstrahl voll über die Kühe prasseln und beugte sich in den Wagen vor. Dann stieß sie einen hellen Schrei aus, warf die Hände über den Kopf und rannte japsend, mit hervorquellenden Augen, davon. Zwei Wagen weiter erbrach sie sich und setzte sich dann wie betäubt auf die Schienen.
    Schon immer war Sergeij Andrejewitsch Tarski ein fröhlicher Mensch gewesen. Wenn ihm etwas gelungen war, was vorher sehr schwierig ausgesehen hatte, konnte er sich freuen wie ein Kind. Dann pfiff er ein Liedchen vor sich hin und war der Ansicht, daß alles im Leben nur eine Glücksache sei, und das Glück war nun bei ihm und wollte genossen werden.
    Seine glatte Landung auf einer von Wäldern umgebenen Wiese bei Lataschino machte ihn geradezu lustig, er grub in aller Ruhe seinen Fallschirm ein, indem er eine Bodensenke ausnutzte und diese mit Erde zuschüttete, dann ruhte er sich aus, legte sich am Waldrand auf

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