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Sie waren zehn

Sie waren zehn

Titel: Sie waren zehn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schob Iwanow noch näher an das Faß und strahlte geradezu greifbares Glück aus. »Das ist Fjedor Pantelijewitsch …«
    Semjon Tichonowitsch knurrte etwas Unverständliches, legte die Wurzelbürste auf den Bottichrand und starrte Iwanow an. Er hatte mit seiner hübschen Tochter wenig Ähnlichkeit. Sein Gesicht war breit, von der Arbeit im Walzwerk und der ihn ständig umgebenden Gluthitze ausgedörrt und von schon ergrauenden Haaren umgeben. –
    »Ich begrüße Sie, Fjedor Pantelijewitsch«, sagte er mit einer rauhen, tiefen Stimme. Dann hustete er, krümmte dabei den Rücken und schluckte den Schleimpfropfen hinunter. »Der Eisenstaub!« sagte er nach einigen tiefen Atemzügen. »Überall ist er! In der Nase, in der Kehle, in der Lunge … Selbst wenn ich pinkele, klirrt es!«
    Wanda stieß einen Pfiff aus und bekam einen roten Kopf. Semjon Tichonowitsch ließ die Bürste ins Wasser platschen und verzog sein Gesicht zu einem Grinsen.
    »Ich bin ihr zu ordinär, mein guter Fjedor Pantelijewitsch. Immer, wenn ich etwas sage, was ich denke oder was wahr ist, pfeift sie. Wie ein Schiedsrichter auf dem Fußballfeld! Abseits! Kümmern Sie sich nicht darum! Woher kennen Sie Wandaschka?«
    »Von der Eisenbahn«, sagte Iwanow. Ihm gefiel der muskulöse Mann in dem Holzbottich. – Er war ein Mensch, zu dem man Vertrauen haben konnte.
    »Woher?« fragte Semjon verblüfft.
    »Wir saßen heute im selben Abteil. In Dubna bin ich zugestiegen. Wir haben geplaudert, und Wanda Semjonowna hatte den Einfall, mich zu Ihnen mitzunehmen.«
    »Er ist ein Held!« rief sie, bevor der Vater berechtigterweise fragen konnte, ob sie verrückt geworden sei. »Wie ein Löwe hat er gegen die Deutschen gekämpft. Zeig es Väterchen mal, Fedja!«
    Iwanow, an solche Demonstrationen mittlerweise gewöhnt, hob wortlos sein Hemd und zeigte seine imposante Narbe. Semjon betrachtete sie mit sichtbarer Ehrfurcht und kratzte sich mit der Bürste die Stirn.
    »So jung und schon ein Veteran!« erklärte Iwanow und stopfte das Hemd wieder in die Hose. »Eine lange Geschichte ist's. Wanda hatte die Idee, mich vielleicht an ihre Baubrigade zu empfehlen, obwohl ich den Auftrag habe …«
    »Was sie sich vornimmt, das gelingt!« Semjon zeigte mit der Bürste auf Iwanow. »Gehen Sie in die Wohnung, mein Lieber. Ich bin in ein paar Minuten fertig …«
    Wanda faßte Iwanow unter, schmiegte sich an ihn, was Väterchen Semjon mit zusammengezogenen Augenbrauen verfolgte, und drängte ihn in die Tiefe des langen Flures hinein. Hinter einer Tür mit abgeblätterter grüner Farbe öffnete sich ein mittelgroßer Raum mit zwei Fenstern, der sowohl Küche wie Wohnzimmer, Schlafkammer und offener Kleiderschrank war. An Haken und Nägeln hingen die Kleider der Familie Haller. Eine stofffreie Wand gab Platz für ein Bild von Lenin und einen Buntdruck, der eine Ikone mit einer gütig lächelnden Maria zeigte. An einem Küchenherd, der mit Kohle befeuert wurde, stand eine noch jugendlich aussehende Frau in einem blauen Rock und einer farblosen Bluse, die sich über eine erstaunliche Oberweite spannte. Das braune Haar war zu einem Knoten zusammengedreht.
    »Das ist Mütterchen!« sagte Wanda. »Antonina Nikitajewna. Oh, Mama!« Sie rannte auf sie los, umarmte sie, küßte ihr die Stirn und benahm sich wie ein kleines Kind, das erzählen will, es habe endlich entdeckt, was einen Jungen von Mädchen unterscheidet.
    »Ich wollte nicht mitkommen!« sagte Iwanow, als er Antoninas kritischen Blick auffing. Wie alle Mütter, musterte sie den fremden jungen Mann, als solle er stückweise verkauft werden. Iwanows sonniges Lächeln und seine blonden Haare stimmten sie nach wenigen Sekunden milder. Im Gegensatz zu ihrem Mann Semjon begrüßte sie Iwanow mit den Worten: »Hat Wanda Ihnen ein Abendessen versprochen?«
    »Über eine solche Auszeichnung haben wir nie geredet.«
    »Eine Kartoffelsuppe gibt es. Mit Zwiebeln …«
    »Ein Luxus geradezu, Antonina Nikitischna .« Iwanow lächelte, wie um Verzeihung bittend. »Es wird Probleme geben, habe ich zu Wandaschka gesagt. So einfach daherkommen und sich an den Tisch setzen, als sei man an ihm großgeworden, das geht nicht. Aber sie meinte, alle hier seien freundliche Leute, und ich sei willkommen …«
    »Das sind Sie!«
    Antonina rührte in dem Suppentopf. Es roch gut, Iwanow setzte sich auf einen Stuhl und überlegte, wie man das Problem der Schlafstätten lösen wollte, wenn er wirklich hierbleiben sollte. Semjon, das Väterchen mit dem

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